Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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doch dem, der das geltende Recht nur in dogmatischer Beleuchtung kennen 
gelernt hat, vor, daß ihm Zustände, auf die er in der Praxis stößt, als 
system- und rechtswidrig erscheinen. Man findet das besonders bei alten 
Organisationsformen und in der Gestaltung ländlicher Rechtsverhältnisse. Der 
unkundige Beamte ist leicht geneigt, solche Besonderheiten als unberechtigt 
zu behandeln und verletzt dann das Empfinden der Leute, die auf ihrer 
alten Gewohnheit beharren. Rechtsgeschichtliche Kenntnisse würden ihn 
befähigen zu erkennen, daß Reste alter Rechtsformen vorliegen, die auch 
heute noch ihre Existenzberechtigung haben. Er gilt dann den Leuten als 
weltfremd und unpraktisch, weil er nicht genug historisch geschult ist, um 
die Gegenwart zu verstehen. Erst die bis auf die Gegenwart fortgeführte 
Lehre der Rechtsgeschichte gibt uns auf allen Gebieten die wichtige Er- 
kenntnis, dieuns dann auch vor der Ueberschätzung des geschriebenen Gesetzes 
hütet, daß der gegenwärtige Rechtszustand ein Ausschnitt aus einer fließen- 
den Entwicklung ist, daß man in dieser Hinsicht nicht sagen darf: die Ver- 
gangenheit war, die Gegenwart ist. Durch historische Kenntnisse wird der 
praktische Verwaltungsmann, der an der Fortbildung des Rechts mitarbeiten 
soll, auch erst in den Stand gesetzt, die Ziele für die Weiterentwicklung zu 
setzen. Wie oft werden nicht von sogenannten Praktikern Vorschläge gemacht, 
deren Unzweckmäßigkeit oder gar praktische Undurchführbarkeit der 
historisch Geschulte, der von den Erfahrungen weiß, die man früher mit 
entsprechenden Maßregeln gemacht hat, ohne weiteres erkennt. Man weist 
doch so häufig gerade im praktischen Interesse auf die Notwendigkeit ver- 
gleichender Rechtswissenschaft hin. Das Studium der Rechtsgeschichte gibt 
auch vergleichende Rechtswissenschaft, nur daß wir dabei verschiedene 
Rechtszustände hintereinander statt nebeneinander finden. So sind es 
allenthalben praktische Bedürfnisse, die auf das Studium der Rechtsge- 
schichte hinweisen. Die Lehrmethode G. MEYERs war daher wohl gerecht- 
fertigt. Waren seine geschichtlichen Einleitungen auch nur sehr kurz und 
manchmal vielleicht etwas oberflächlich, so dienten sie doch immer zum 
Verständnis des folgenden und hatten jedenfalls den Wert, daß sie den 
Lernenden auf die geschichtliche Entwicklung wenigstens hinwiesen. Seine 
Methode hätte daher nicht aufgegeben werden sollen. 
Vorstehende Bedenken dürfen bei einer Anzeige der Neuauflage nicht 
unterdrückt werden. Bei dem großen Ansehen, welches das G. MeYErsche 
Werk genießt, besteht sonst die Gefahr, daß bei der Unterweisung der 
Studierenden im Verwaltungsrecht die erwähnten praktischen Gesichts- 
punkte immer mehr vernachlässigt werden, während gerade gegenwärtig 
besondere Veranlassung vorliegt, die akademische Ausbildung nach den 
gedachten Richtungen hin noch zu vervollkommnen. Mit diesen Bemerkungen 
über das was fehlt, soll aber der Wert dessen, was in der Neuauflage ge- 
leistet ist, nicht herabgesetzt werden. Mit größtem Fleiß hat der Bearbeiter 
die neuere Literatur verfolgt und, unter der Beschränkung auf die größeren
	        
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