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Streit, handelt es sich für nicht an ihm beteiligte Staaten um eine res
inter alios acta. Daraus ergibt sich, daß regelmäßig die Einmischung
dritter Staaten sich lediglich als eine Konsequenz der Verletzung inter-
nationaler Abmachungen darstellt, sich somit also innerhalb des Rah-
mens des Völkerrechts hält. Die Mehrzahl derartiger Fälle — die
ohnedies nur äußerst selten sein dürften — werden durch das Vorliegen
einer Vereinbarung des eben beschriebenen Inhalts gedeckt sein. So weit
dies jedoch nicht zutrifft, bliebe keinerlei Möglichkeit, die Sentenz zu ver-
wirklichen, falls man in der Tat vor der Heiligkeit der staatlichen Sou-
veränität auch in diesem Fall zurückschrecken würde. In Wirklichkeit
bedeutet aber — von den zahlreichen Beispielen, die das Völkerrecht auf
tausend Blättern bietet (es sei nur an die fälschlich sogenannten Staats-
servituten erinnert) ganz abgesehen — jeder Vertrag, durch den ein Staat
eine Verpflichtung übernimmt, in gewissem Sinne eine Einschränkung seiner
absoluten Unabhängigkeit, mindestens in dem Sinn, daß hieraus für die
Gegenpartei die Möglichkeit erwächst, gewaltsam ihre Ansprüche zu ver-
wirklichen. Es wäre m. E. gerade im Interesse des Weltfriedens sehr zu
begrüßen, falls auch in der Richtung die Staaten eine Einschränkung ihrer
Souveränität sich gegenseitig konsentieren würden, daß die Nichterfüllung
einer aus Vertrag, Vereinbarung oder einem, von dem betreffenden Staat
nachweisbar anerkannten Satze des Gewohnheitsrechts emanierenden Pflicht
zwangsweise Verwirklichung durch alle übrigen an dem Abkommen be-
teiligten Staaten (mit Delegationsbefugnis an einzelne kraft Beschlusses
aller dieser Staaten in jedem einzelnen Fall)? gegen das widerstrebende Glied
der Staatsgemeinschaft nach sich ziehen würde. Darin läge ein heilsames
Abschreckungsmittel (auch gegenüber mächtigeren Staaten) vor der Begehung
völkerrechtlicher Delikte irgend welcher Art. Zwar würde dieser Satz,
soweit an einer Vereinbarung mehrere Staaten beteiligt sind, im Verhältnis
zwischen einem renitenten Genossen und den übrigen Selbstverständliches
zum Ausdruck bringen, doch wäre die in ihm enthaltene verstärkte Sank-
tion von nicht unterschätzender Bedeutung, während in allen übrigen
Fällen das Kollektiveinschreiten allein durch die Bestimmung des generellen
Abkommens getragen würde. Daß dies.mit der Idee des internationalen
Friedens nicht unvereinbar wäre, zeigt wohl nichts deutlicher als der Um-
stand, daß auch der Bundesstaät, bei dem gewiß ein Krieg zwischen seinen
Gliedern geradezu als etwas Undenkbares erscheint, ich meine das Deutsche
Reich, in Art. 19 der Reichsverfassung eine Exekution gegen renitente
Einzelstaaten ausdrücklich statuiert®.
„Grundvertrag“ und „Schiedsvertrag“ werden — bei der augenblicklichen
Terminologie nicht seltene — Verwechslungen vermieden.
? Diese Einschränkung erscheint aus politischen Gründen geboten.
® Vgl. auch z. B. Art. 16 der Schweizerischen Bundesverfassung und