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Mußte ich in dieser Frage eine von OPPENHEIM wesentlich abweichende
Meinung vertreten, so stimme ich mit den im II. Kapitel seiner Schrift,
die von der internationalen Gesetzgebung im einzelnen handelt, niederge-
legten Gedanken durchgehends überein. Ich weise besonders auf die wohl
abgewogenen Ausführungen hin, die er der gesetzgeberischen Methode und
weiterhin der Frage der Interpretation einmal erlassener internationaler
Gesetze widmet?, in denen er die, in verschiedenem juristischen Denken
begründeten Schwierigkeiten zeigt, zu einem für alle Teile gleich verständ-
lichen Gesetzestext zu gelangen. Bedeutsam sind ferner seine Ausführungen,
soweit sie sich gegen das verbreitete Vorurteil richten, die Gleichheit der
Staaten verböte Beschlüsse gesetzgeberischer Konferenzen, welche nicht
auf Einstimmigkeit beruhten. Zwar ist es eine Konsequenz dieser
Gleichheit, daß kein Staat an einen Satz gebunden wird, zu dem er
nicht seine Zustimmung gegeben hat. Nichts aber hindert, für die
übrigen Staaten — und sei es auch nur eine Minorität — Normen zu
schaffen. Sind diese gut, so werden auch die dissentierenden der Materie
in der beschlossenen oder amendierten Form später beitreten. Und man
wird OPPENHEIM unbedenklich anch darin beistimmen dürfen, wenn er
selbst eine lückenhafte und unvollständige Art internationaler Gesetzgebung,
für die uns z. B. das Abkommen über den Gebrauch von Minen im See-
krieg ein wenig erfreuliches Beispiel bietet, als festen Kern, um den herum
Gewohnheit oder künftige Vereinbarungen ansetzen können, für besser hält
als die chaotische Unsicherheit, wie sie bisher auf diesen Gebieten ge-
herrscht hat.
Aus dem III. Kapitel („die internationale Rechtsprechung“) mögen nur
wenige Hauptpunkte Hervorhebung finden. Wie OPPENHEIM, so hoffe auch
ich auf eine allmähliche Fortbildung internationaler Gerichtsbarkeit und
die Einführung weiterer Gerichte höherer Instanz, als deren Prototyp der
von der zweiten Haager Konferenz beschlossene Prisengerichtshof gelten
mag. Zutreffend weist OPPENHEIM nach, daß die eigenartige — an die
Zeiten des Deutschen Bundes gemahnende — Mitgliederliste keineswegs
eine rechtliche, sondern nur eine politische Ungleichheit darstellt, und daß
dazu SCHOLLENBERGER, Kommentar, 1905, S. 201 ff.; siehe ferner die inter-
essanten Ausführungen WILLONGH»BYS (Constitutional Law of the United
States, 1910), p. 86—91, besonders S. 90—91; cf. auch brasilianische Ver-
fassung vom 24. Il. 1891 Art. 6 (bei DARESTE, les constitutions modernes,
Zieme ed. 1910, II, 627), mexikanische vom 12. II. 1857 Art. 85 VI (DARESTE
II 546).
’ Vgl. dazu die Vorschläge Fıores (bei FIORE-ANTOINE, le droit inter-
national 'codifie et sa sanction juridique, 1911, p. 98, 557 (bes. Art. 1204).
Ich stimme dem Nestor der italienischen Völkerrechtsgelehrten durchaus
zu; vgl. auch OPPENHEIM, International Law I 2d ed., 1912, p. ‚585, 886.