55 —
Stimmverhältnis erforderlich ist, wie wir es sonst auch finden.
Derartige Fälle aber, daß die Majorität oder eine Abstimmungs-
zahl in ihrer Wirkung abhängig davon ist, ob die Stimme eines
bestimmten Einzelstaats in derselben enthalten ist, sind in der
Reichsverfassung vorgesehen.
Art. 7 Abs. 3 Satz 3 RV. lautet:
„Bei Stimmengleichheit gibt die Präsidialstimme den Aus-
schlag.“
Es ist irrig, wenn im Reichstag von Regierungsseite die Be-
hauptung aufgestellt ist, daß derartige Fälle sich in der Reichs-
verfassung in größerer Anzahl finden. Man darf nicht bei qua-
lifizierten Mehrheitsbildungen sagen, die Stimmen der in der
Minderheit gebliebenen würden nicht gezählt.
Ebenso ist es nicht richtig, Art. 7 Abs. 3 Satz 2 (nicht
vertretene oder nicht instruierte Stimmen werden nicht gezählt)
heranzuziehen, um die Möglichkeit der Nichtzählung der elsaß-
lothringischen Stimmen verständlicher zu machen. Der große
Unterschied zwischen diesem Fall und dem Elsaß-Lothringens
besteht darin, daß dort ein materieller Grund dagegen spricht:
nämlich ein für die Stimmführung vorgeschriebener innerer
Grund". Im Fall des Art. 1 Abs. 3 aber ist es ein rein for-
maler Grund, eine willkürliche Bestimmung, die vielleicht poli-
tische Gründe haben mag, aber nicht rechtlich aus inneren Grün-
den motiviert werden kann. Denn selbst wenn Elsaß-Lothringen
vertreten und instruiert ist, werden seine Stimmen nicht „gezählt“,
dann aber werden die Stimmen nicht gezählt, gleich, ob dafür
oder dagegen.
Es finden sich aber wohl Fälle, in denen nicht eine fest-
stehende Mehrheit erfordert wird, sondern, je nachdem das Ab-
stimmungsresultat bejahend oder verneinend ausfällt und die
Mehrheit resp. Minderheit eine bestimmte Stimmengruppe ent-
ıı Wie bei der zivilrechtlichen Vollmacht die Vertretungsmacht ein
materielles inneres Erfordernis für die rechtliche Wirkung derselben ist.