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Die Ankündigung von Gesetzen durch Ver-
fassungsurkunden.
Von
Dr. jur. OTTO Freiherr von MERING, Halle a. 8.
Wenn wir die Reichsverfassung und besonders die preußische
Verfassungsurkunde durchblättern, so stoßen wir häufig auf Be-
stimmungen, in denen ein besonderes später zu erlassendes Gesetz
in Aussicht gestellt wird !.
Es dürfte von Interesse und auch nicht ohne Wichtigkeit
sein, eine Untersuchung darüber anzustellen, welche Bedeutung
derartigen Gesetzesankündigungen zukommt, insbesondere auch,
ob sie in irgend einer Weise verfassungsrechtliche Verpflichtungen
begründen können.
Als unzweifelhaft kann jedenfalls angesehen werden, daß,
wenn auf Grund einer in der Verfassung enthaltenen Bestimmung
ein besonderes Gesetz ergeht, der Erlaß dieses Gesetzes stets nur
den für den Erlaß gewöhnlicher Gesetze, nicht den für Ver-
! Es sind dies in der Reichsverfassung die Art. 3, 4 und 75 (nicht
aber z. B. Art. 35), während in der preußischen Verfassungsurkunde folgende
Artikel in Betracht kommen: Art. 17, 19, 26, 40, 61, 69568, 92, 98, 101,
104, 105, 111, 113, 116, 117. Der Unterschied zwischen dem Falle des Art. 4
der Reichsverfassung und demjenigen von Art. 35 beruht darauf, daß die
in Art. 4 aufgezählten Materien bis zu ihrer reichsrechtlichen Regelung
landesrechtlich geordnet werden können, während z. B. einzelstaatliche Ge-
setze über das Zollwesen unter allen Umständen ungültig sind. Vgl. LABAND,
Das Staatsrecht des Deutschen Reiches IV. Aufl. Bd. 2, S. 111; v. SEYDEL,
Kommentar zur Reichsverfassung 2. Aufl. Anın. zu Art. 35.