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helle Finsternis, ein Auge, das gerade deshalb um so schärfer
sieht, weil es blind ist. Außerdem ıst der Mensch leider kein
bloßes passives Instinkt- und Gefühlswesen; er hat Verstand,
Vernunft und Leidenschaften, er kann sogar, mit und gegen seinen
Willen, Partei ergreifen für und gegen die Wahrheit. Die Laute
der Natur würden daher, wenn der Mensch sıe selbst hervorbrächte,
kaum jemals ganz rein zum Vorschein kommen. Alle Erkenntnis,
alles Urteil aber kommt aus dem Verstande. Die Erkenntnis
kann eine wissenschaftliche sein, oder eine nicht wissenschaftliche,
gemeine. Bei der wissenschaftlichen Erkenntnis ist der Verstand
sich seiner Gründe bewußt, bei der gemeinen nicht. „Bei der ge-
meinen Erkenntnis, möchte man sagen, findet die Wahrheit den
Menschen, bei der wissenschaftlichen wird die Wahrheit von dem
Menschen gefunden.“ Hier siebt FEUERBACH den Unterschied
zwischen dem Geschworenen und dem gelehrten Richter. Die
Ueberzeugung des ersteren stammt aus der gemeinen, die des
anderen aus der gelehrten Erkenntnis. Der gewöhnliche Mensch
ist durch die Erfahrung geübt, die Fragen der Gewißheit und
Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, ohne sich freilich der Gründe
bewußt zu sein. Diese langgeübte Kunst des gemeinen und ge-
sunden Menschenverstandes läßt ihn die Wissenschaft von
dieser Kunst nicht nur als entbehrlich, sondern auch als gefährlich
betrachten, weil sie ihn angeblich in die Irre führt. So mißtraut
man den gesetzlichen Beweistheorien und sagt, nur eine Jury
führe uns zum Sonnenlichte der Wahrheit, weil die Geschworenen
ihr Urteil nur nach dem natürlichen und darum sicheren Gefühl
bestimmten.
Und doch sind die gesetzlichen Beweisregeln gut, wenn sie, mehr
negativ als positiv, feststellen, was als hinreichender Beweis nicht
anzusehen ist. Diesen vernünftigen Beweistheorien gegenüber ist
die Jury im Nachteil. Das subjektive Fürwahrhalten des Ge-
schworenen reicht aus, um eine Tatsache als wahr erscheinen zu
lassen, nur weil sie die Geschworenen für wahr halten. Auf die