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Literatur.
Dr. Robert Redslob, Privatdoz. der Rechte a. d. Universit. Straßburg,
Die Staatstheorien der französischen National-
versammlung von 1789. Leipzig, Veit & Co. 1912.
Diese Monographie hat einen eigenartigen Reiz, welcher sowohl auf
dem sehr interessanten Inhalt als auf der Weise der Darstellung beruht.
In der „Einleitung“, deren Gedankenreichtum man erst recht versteht und
würdigt, wenn man das ganze Werk bis zu Ende gelesen hat, schildert der
Verfasser den außergewöhnlichen Charakter der Verfassung von 1791 und
die eigentümliche Art, wie sie zustande kam. Die Nationalversammlung
versuchte nicht die historisch überkommene Verfassung Frankreichs fort-
zubilden und sie zu verbessern, sondern sie schufeine neue originelle Ver-
fassung aus wissenschaftlichen, staatstheoretischen Prinzipien. „Die Ver-
fassung von 1791 hat überhaupt keinen historischen Anknüpfungspunkt.
Sie ist ein Gebäude von Grund aus neu und zusammengefügt aus den Lehr-
sätzen der Staatstheorie.*“ Nun war diese Staatstheorie aber weder ein-
heitlich noch als positives Recht verwendbar, sondern es standen sich
gegenüber einerseits die rein theoretischen doktrinären Prinzipien von
Loc&ke und ROUSSEAU, andererseits die der Befriedigung praktischer poli-
tischer Bedürfnisse zugewendeten Lehren MONTESQUIEUs und das Beispiel
der englischen Verfassung.
Den Ausgangspunkt bildeten überall die Sätze RoUSSEAUs, denen
man eine axiomatische, keines weiteren Beweises und keiner Prüfung be-
dürfende Richtigkeit zuschrieb; dies galt von dem Grundsatz, daß der
Mensch von Natur frei sei und frei geboren werde, daß diese Freiheit nur
durch eine freiwillige Unterwerfung beschränkt werden könne; daß daher
ein Gesellschaftsvertrag die Grundlage des Staates sei; daß es einen Ge-
meinwillen gebe, welchem der einzelne deshalb Gehorsam schulde, weil
er an dessen Bildung mitwirke; daß die Volkssouveränität unbeschränkbar
und die Quelle aller staatlichen Macht sei usw. Alle diese Sätze ließen sich
nicht zu positiven Verfassungssätzen erheben und in ihren Konsequenzen