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bestimmt. Der Verfasser meint, daß dieser Typus mit der in Deutschland
und Oesterreich bestehenden konstitutionellen Staatsform zusammenhänge;
er charakterisiert den Seniorenkonvent „als ein in der Entwickelung stecken
gebliebenes Ministerkabinett“ (S. 89). Er sagt S. 90 „da die Parteiregierung
für die Geschäftsleitung der Parlamente absolut nötig ist, da sie aber ver-
fassungsmäßig sich nicht zur parlamentarischen Regierung ausgestalten
kann, so sieht sie sich in einen Winkel gewiesen und bildet ein Winkel-
kabinett, den Seniorenkonvent, das Gegenstück des amerikanischen Sprechers“.
Ich glaube, daß man sowohl hinsichtlich des Grundes als auch hinsichtlich
der Folge anderer Meinung sein kann und daß die tatsächliche Bedeutung
des Seniorenkonventes eine viel bescheidnere ist. Der Seniorenkonvent
wird übrigens von Vertretern aller größeren Fraktionen gebildet, während
eine „Parteiregierung“ einheitlich sein muß.
Mit der erwähnten Anschauung des Verfassers hängen auch seine
Vorschläge hinsichtlich einer Abänderung der Geschäfts-
ordnung des deutschen Reichstages zusammen. Er stellt in
erster Reihe die Forderung auf, „den Seniorenkonvent aus seiner unver-
antwortlichen Ecke herauszuziehen, ihn zu einem Rechtsinstitut zu machen,
wodurch er dem Parlament verantwortlich wird (?), seine Machtbefugnisse
aber durch die Geschäftsordnung genau zu begrenzen“. Die letzteren sol-
len darin bestehen, die Reihenfolge der Parlamentsgeschäfte festzulegen
und die Kommissionen zusammenzusetzen. Seine Beschlüsse sollen das Haus
binden, wenn dieses nicht etwas Anderes bestimmt, — die also das Haus
nicht binden. Im Seniorenkonvent sollen alle Parteien und Gruppen ver-
treten sein, welche „beachtenswert“ sind; dies sind nach Ansicht des Ver-
fassers alle, welche mindestens 15 Mitglieder zählen. Der Präsident soll
„unparteiisch gegenüber den parteiischen Nebenregierern gestellt werden“.
Als das „Radikalmittel“ dafür schlägt der Verfasser 8. 92 a. E. vor, daß
die Wahl des Präsidenten auf die kleinen Parteien beschränkt würde, welche
im Seniorenkonvent nicht vertreten sind und sich so über ihre Einfluß-
losigkeit im Seniorenkonvent „trösten“ könnten. Hiernach würde der Prä-
sident des deutschen Reichstages aus der Zahl der Dänen, Welfen und
Antisemiten zu nehnıen sein! Es ist nicht zu befürchten, daß der Reichs-
tag in seine Geschäftsordnung eine so unsinnige Bestimmung aufnehmen
könnte; aber es ist bemerkenswert, daß ein solcher Vorschlag überhaupt
ernsthaft gemacht wird; er ist eine sonderbare Blüte des politischen Dok-
trinarismus.
Der Verfasser erklärt sich ferner gegen den „Alterspräsidenten“ bis
zur Präsidentenwahl und fragt, warum nicht der Präsident der vergangenen
Legislaturperiode die Geschäfte so lange führen könne, bis er einen Nach-
folger hat. Dies wäre freilich möglich, es sei denn, daß er nicht wieder
gewählt worden oder gestorben ist; für diesen Fall müßten wieder beson-
dere Bestimmungen getroffen werden. Welche Nachteile mit der Leitung