Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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für ihn a priori gegebene Norm, die seine Stellungnahme an den Erschei- 
nungen des Rechtslebens, die er verarbeitet, und damit seine Bewertung 
dieser Erscheinungen bestimmt. 
Das ergibt sich aus mannigfachen kritischen Bemerkungen, mit denen 
er die Darstellung der Rechtsverhältnisse in fremden Ländern begleitet: 
dann aus der Auswahl des Beobachtungsmaterials überhaupt; endlich aus 
direkten Bekenntnissen : „Souveränität und Staatsgewalt sind getrennte Be- 
griffe Die Souveränität des Staates bedeutet: Der Staat regelt selb- 
ständig alle Verhältnisse, die unter den Schutz seiner Exekutionsgewalt ge- 
stellt werden. Die kirchenrechtlichen (sic) Verhältnisse aber entziehen sich 
nach der Natur der Sache dieser Exekution® (S. 450) oder: „Die Organe 
der die Christen umfassenden Gemeinschaft !' leiten ihr Mandat nicht von 
einer einzelnen Staatsautorität, sondern von einer überirdischen, über den 
Staaten und Nationen stehenden höchsten Macht ab“? (S. 3.), Das sind im 
Munde eines Staatsrechtslehrers ungeheuerliche Anschauungen! Da ist jede 
juristische Diskussion ausgeschlossen. Das ist klipp und klar der dogma- 
tische Standpunkt des Papstes und seiner Partei, wie er seit langem nahezu 
einmütig von allen Rechtsordnungen und von den bedeutendsten Staats- 
rechtslehrern aller Länder abgelehnt wird. Soweit hat heute keine noch so 
romfreundliche Regierung nachgegeben. Wieviel vorsichtiger und maß- 
voller haben BLUNTSCHLI und HOLTZENDORFF, die doch auch Roms An- 
sprüche vertraten, sich ausgedrückt! Diesen päpstlichen Standpunkt findet 
man ja heute überhaupt nur noch in Schriften, die auf wissenschaftliche 
Methode und juristische Präzision verzichten. Das ist jene verschleiernde 
und verwirrende Verwechslung sozialer, rechtlicher und geistlicher Materie, 
die zumal in französischen und italienischen Schriften mitunter geradezu 
blendend gehandhabt, aber von anderen Italienern und Franzosen um so 
rücksichtsloser aufgedeckt worden ist?. Ich habe mir einmal aus der Ci- 
vilta cattolica, 1872, den Satz notiert: „Il papa ha diritto di ritirare, quando 
lo esiga la salute della Chiesa, quelle concessioni ch’egli abbia fatte in un 
: ROTHENBÜCHER steht wie jeder gut päpstliche Katholik auf dem 
Standpunkt, daß die nicht römisch-katholischen Christen nur vorübergehend 
den katholischen Organen entzogen und da sie de jure zur katholischen, 
d. h. allumfassenden Gemeinschaft aller Christen gehören, von diesen Or- 
ganen vorläufig ideell mit vertreten und regiert werden. 
? Vgl. auch z. B. S. 18: rechtliche Ueberordnung der römischen 
Kirche über den Staat; und ähnlich vielfach. 
® Man vergleiche z. B. die Encyclica Immortale Dei (1. Nov. 1885); das 
Urteil der Corte di Appello di Roma vom 30. Aug. 1899 (Rivista di diritto 
internazionale, Neapel 1899, 8. 551 fl., DEYLon, Le pouvoir temporal des 
Papes (Sociol. catholique, 1892, No. 6, 7), CAPPELLO, F. M., Chiesa e Stato, 
Roma 1910, mit der Darstellung in den großen Lehrbüchern.
	        
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