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ten die Urteile, die ROTHENBÜCHER S. 442 ff. über einige Kirchenrechts-
lehrer (HınscHIus, SOHM, KAHL und andere), dann über JHERING, JELLINEK
usw. fällt, eine sachlich-kritische Grundlage bekommen können; so haben
wir statt dessen nur ein Einschätzen nach dem subjektiven Glaubensstand-
punkt des Autors: „Für sie (die katholische Kirche) ist die Kirche sichtbar
und — — eine von Christus gestiftete Heilanstalt juristischer Natur“!
„Die staatlichen Grenzen sind für ihr Recht bedeutungslos“ (S. 445). „Die
Katholiken eines Landes sind Mitglieder der internationalen universalen
Kirche, besitzen eine kirchenrechtliche Organisation, die einen Teil der all-
gemeinen Organisation ausmacht. Der Papst ist ihr Oberhaupt, dem die
Regierung und Verwaltung der Kirche obliegt“ (S. 465). „Der Staat regelt
selbständig alle Verhältnisse, die unter den Schutz seiner Exekutionsgewalt
gestellt werden. Die kirchenrechtlichen Verhältnisse aber entziehen sich
nach der Natur der Sache dieser Exekution.* Aber unmittelbar darauf:
„Wer die staatliche Vollzugsgewalt braucht, muß sich den Formen des
staatlichen Rechts anpassen; daher auch die Kirche“ (S. 450f.). Weiter
kann man die Verwirrung kaum treiben. Jeder staatsrechtliche Boden fehlt.
Es ist ein qualvolles Hineinpressen der päpstlichen politischen Kompromiß-
maximen in ejn juristisch aufgeputztes Gewand. Kein Wunder, daß RoTHEN-
BÜCHER schließlich, um sich gegen die staatsrechtliche Beurteilung dieser
Fragen zu wehren, den Spieß umkehrt: er hat die juristische Formel ge-
funden. Alle bisherigen „Theorien der Ueberordnung und Gleichordnung
von Staat und Kirche“ kommen nicht in Betracht! Sie sind „Formeln all-
gemein historisch-politischer Art, in denen man Forderungen präzi-
siert hat“ usw.! Also alle Arbeit, die von den feinsten juristischen Köpfen
aller Nationen seit Jahrhunderten, in der Regel nachdem sie ein Menschen-
alter nachgedacht und Erfahrungen gesammelt hatten, auf das staatsrecht-
liche Problem Staat und Kirche verwendet worden — fehlgeschossen, treffen
die Sache garnicht; nur allgemeine historisch-politische Formeln und For-
derungen! ROTHENBÜCHER mußte kommen, um in einer Erstlingsarbeit die
Frage in das rechte Licht zu stellen!? Nein, so fleißig und gewandt er ge-
sammelt und geschrieben — das ist ihm nicht gelungen. Ich wundere mich
nur, daß er, da er konsequent genug war, dieses notwendige Schlußergebnis
seiner unsystematischen, unmethodischen Arbeitsweise, nämlich radikale Ab-
lehnung aller streng juristischen Untersuchungen über das Verhältnis der
Kirche zum Staat zu ziehen, hier nicht stutzig geworden ist. Hier mußte
begonnen werden! Von hier aus mußte das Problem aufgewickelt, hier
mußte Stellung genommen werden, um das beigebrachte historische, lite-
rarische und rechtsvergleichende Material anzupacken. Dann wäre aller-
dings von all den eigenen Sätzen in dem Buch nicht viel übrig geblieben;
Völkerrechtsschule mit ihren neuen dogmatischen Konstruktionen (BAIKOFF,
TAUBE und andere) wohl einmal wieder eine Behandlung vertragen.