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Trennung verlieren die Kirchen nicht notwendig ihren Charakter als Volks-
kirchen. Ob sie Volkskirchen bleiben oder zu Bekenntniskirchen
werden, bemißt sich nach ihrer Lehre“. Das sind nicht rechtliche Ergeb-
nisse, sondern politische Urteile. Die ganze Untersuchung ist eben wesent-
lich eine kirchenpolitische, keine juristische — vor allem keine staatskirchen-
rechtliche; so oft auch die Worte Recht, Rechtsordnung usw. eingestreut
werden.
Weitere Bemerkungen zu den Ergebnissen erübrigen sich nach meinen
Ausführungen über die Anlage und Methodik des Buches. ROTHENBÜCHER
tadelt HınscHius und Kant (S. 436), weil sie „sich einer scheinbar apriori-
stischen Methode bedienen“; sie entwerfen „auf deduktivem Wege ein Ideal-
bild der Trennung“ und „an dem so gewonnenen Schema werden sodann
die Rechtsordnungen der Staaten, die nach jenem System leben, gemessen“.
ROTHENBÜCHER hat inzwischen als Lehrer auf einer der bedeutendsten
Kanzeln für Staatsrecht sich mit dieser Materie beschäftigen müssen. Er
wird dabei wohl zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß dies eben die
juristische Arbeitsweise ist, ohne die wir — im Staatsrecht sicherlich —
keinen Schritt weiter kommen, ja keinen einzigen Rechtssatz klarlegen kön-
nen und unrettbar aus dem fest begrenzten Gebiete der strengen Wissen-
schaft uns in die flachen Felder der ungebundenen Dialektik verlieren, auf
denen unter manchen schönblütigen Pflanzen auch die lockere Blume Poli-
tik von den freien Winden der wechselnden Tendenz geschaukelt wird.
Czernowitz. Dungern.
Dr. jur. Walter Winkelmann, Die rechtliche Stellung deı
außerhalb der Landeskirche stehenden Religions-
gemeinschaften in Hessen. Geschichtliche Entwickelung
und geltendes Recht. Ein Beitrag zur Geschichte der Bekenntnis-
freiheit. Darmstadt 1912. Kommissionsverlag der Hofbuchhandlung
H. L. Schlapp. 144 Seiten. Preis 2,20 Mk.
Der Titel der Schrift gibt ihren Inhalt nicht sehr glücklich wieder.
Neben den Rechtsverhältnissen der nicht zur Landeskirche gehörigen Re-
ligionsgemeinschaften werden auch diejenigen der Landeskirche selbst ziem-
lich eingehend berücksichtigt. Richtiger erscheint der Untertitel. Denn
die Darstellung schildert den Entwicklungsgang des Gedankens der Be-
kenntnisfreiheit von der Reformation bis zur Gegenwart, freilich unter be-
sonderer Hervorhebung der Rechtslage der Dissidenten.
"Das Schwergewicht ruht auf dem geschichtlichen Teile. Der Verfasser
unterscheidet hier zwei Perioden, die Zeit von der Reformation bis zum
Reichsdeputationshauptschluß und die Zeit von der Auflösung des alten
Reiches bis zum Erlaß der Kirchengesetze von 1875. Die weitere Gestal-
tung wird systematisch geordnet als das geltende Recht zur Darstellung ge-
bracht.