—_— 2385 —
fassungsurkunde enthält (S. 94—116). Darin wird, zum Teil auf Grund
archivalischer Quellen, überzeugend nachgewiesen, daß diese Bestimmung
ein Seitenstück zu dem $ 75 Einl. ALR. bilden sollte, also, was in den bis-
herigen Auslegungsversuchen zu der freilich höchst mangelhaft redigierten
Bestimmung vollständig übersehen worden ist, einen Entschädigungsanspruch
gewähren sollte bei rechtmäßigen Eingriffen der Staatsgewalt in die In-
dividualsphäre des Individuums. Berücksichtigt man noch, daß jener würt-
tembergische $ 95 dann seinerseits vorbildlich geworden ist für andere
deutsche Verfassungsurkunden wie jedenfalls für die sächsische, deren $ 49
in seiner ursprünglichen Fassung ihn ziemlich wörtlich wiederholte (vgl.
OTTO MAYER, Sächsisches Staatsrecht, S. 265, 266), so gewinnt durch jene,
von ihm selbst in dieser Tragweite noch gar nicht erkannte, hochbedeut-
same Feststellung des Verfassers die Lehre von der öffentlichrechtlichen Ent-
schädigung ein neues Gesicht: wenn nämlich $ 75 Einl. ALR. unzweifelhaft
eine positivrechtliche Stütze für sie bildet (vgl. KORMANN, Grundzüge eines
allgemeinen Teils des öffentlichen Rechts, in Annalen des Deutschen Reichs
1912 S. 205) und wenn nunmehr weiter festgestellt wird, daß auch in außer-
preußischen Gesetzen dieser $ 75 kopiert werden sollte, und wenn endlich
noch in Betracht gezogen wird, daß diese Kopien nach ihrem Wortlaut!
den materiellen Anspruch selbst gar nicht statuieren, sondern lediglich
seine prozessuale Behandlung, die ursprüngliche Kopie sogar lediglich in
negativer Form, regeln, während sie den Anspruch selbst als bestehend
stillschweigend vorauszusetzen scheinen: so ist das ein wichtiger Beweis-
grund für die Annahme einer allgemeinen Geltung jenes Rechtsinstituts;
insbesondere für Sachsen war übrigens schon früher von MILHAUSER in
Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung 1839, S. 167, behauptet worden,
der Staat habe Entschädigung auch für rechtmäßige Eingriffe der Staats-
gewalt zu gewähren, und auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat
ı Württembergische VU.$95: „Keinem Bürger, der sich durch
einen Akt der Staatsgewalt in seinem auf einem besonderen Titel beruhen-
den Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verschlossen
werden“.
Regierungsentwurf der Sächsischen VU. $ 45: „Keinem
Untertan, der sich durch einen Akt der Staatsverwaltung in seinen auf
privatrechtlichen Titeln beruhenden Gerechtsamen verletzt glaubt, kann
der Rechtsweg verschlossen werden“.
Heutige Fassung der Sächsischen VU. $ 49: „Jedem, der
sich durch einen Akt der Staatsverwaltung in seinen Rechten verletzt glaubt,
steht der Rechtsweg offen.
Ein besonderes Gesetz wird die nötigen Ausnahmen und Bestimmungen
treffen, damit durch die Ausübung dieses Befugnisses der freie Fortgang
der Verwaltung nicht gehemmt werde.“