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von Bedeutung. Das Buch nimmt durch die Lebendigkeit der Darstellung
einen hervorragenden Platz unter den Publikationen der Bibliothek des
öffentl. Rechtes ein. E. Radnitzky.
„Die Obstruktion‘“, Eine Studie aus dem vergleichenden Parlaments-
rechte, von Oswald Koller, Zürich Selnau Verlag der Akademia 1910.
S. 204.
Das Buch zerfällt in einen historischen und einen dogmatischen Teil.
In jenem gibt der Verfasser eine Darstellung der Obstruktion, (als deren
Unterarten er auch die Abstinenz und den Exodus ansieht), in den Par-
lamenten von England einschließlich seiner Kolonien, von Oesterreich,
Ungarn, Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, Spanien, Rumänien,
Griechenland, der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Chiles. Diese
Darstellung kann wohl nur mit Vorsicht benützt werden, auch enthält sie
manches überflüssige Detail (vgl. z. B. S. 81) während wichtige Dinge wie
z. B. die zahllosen in der österreichischen Obstruktionsära erschienenen Not-
verordnungen, mit Stillschweigen übergangen werden. Im dogmatischen
Teil untersucht der Verfasser das juristische Wesen der Obstruktion), er
bezeichnet sie als rechtswidrig, und zwar hauptsächlich im Anschluß an
die Argumentationen von G. ScHWwARZ, (Grünhuts Zeitschrift XXXIII) die
in der These gipfeln, daß der Obstruierende sich nur den Anschein gebe,
die ihm von der Geschäftsordnung zum Zwecke der Verhandlung einge-
räumten Befugnisse auszuüben, daß er aber tatsächlich gar nicht verhandle,
sondern die Geschäftsordnung zum Gegenteil der Verhandlung mißbrauche.
Er erblickt in der Obstruktion einen Fall von öffentlich rechtlicher Chikane
und tritt dadurch in den stärksten Gegensatz zu JELLINEK, der zur Zeit,
ala im österreichischen Abgeordnetenhause die Deutschen infolge der
Badenischen Sprachenverordnung Obstruktion trieben, in seinem Vortrage
über das Recht der Minoritäten den Standpunkt einnahm, daß alle ge-
schäftsordnungsmäßigen Rechte auch Machtmittel in den Händen der Mino-
rität seien, gerade so wie die Beamtenernennung, die freien admini-
strativen Entscheidungen und Konzessionen auch Machtmittel in den Händen
der Regierung bilden. JELLINEK würde kaum so gesprochen haben, wenn
er vorausgesehen hätte, (was damals freilich noch niemand voraussah),
daß die Taktik deren sich die Deutschen bedienten, sich im österreichischen
Abgeordnetenhause dauernd einbürgern und zu jenem morbus Austriacus
entwickeln werde, an dem unser Öffentliches Leben schon seit einem
halben Menschenalter darniederliegt. Uebrigens scheint mir jene Parallele
auch deshalb nicht zutreffend zu sein, weil die erwähnten Rechte der Re-
gierung — und so auch das Budgetrecht des Parlamentes — schon von
Haus aus auch :als Machtmittel gedacht waren, während bei der Redaktion
der parlamentarischen Geschäftsordnungen wohl niemand geahnt hat, daß die
Rechte, die der Obstruierende mißbraucht, zu anderen als den sich aus