Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

— 3217 ° — 
stand keinerlei Handhabe, dem sogenannten „testament ministeriel‘“, d. h. 
der eingerissenen Uebung, die höheren und niederen Beamten der Minister 
und Staatssekretäre beim Abgang ihrer Chefs in der gleichen Stellung zu 
belassen oder sie gar noch in eine bessere zu befördern, mit wirksamen 
Mitteln zu begegnen. Nunmehr bestimmt der freilich nicht gut gefaßte 
(vgl. S. 584) Art. 141 die Nichtigkeit jeder Ernennung oder Beförderung 
derartiger Personen, die nach der Publikation der Demission des contra- 
signierenden Ministers im Journal officiel erfolgt ist. Art. 142 statuiert 
die alsbaldige Ausarbeitung eines Reglements mit genauer Festsetzung der 
Zahl der beim Minister (bezw. dem Staatssekretär) zu beschäftigenden Be- 
amten und verbietet zugleich die Anstellung von Beamten, die nicht die 
vorschriftsmäßige Befähigung erlangt haben. Wendet sich diese Bestim- 
mung gegen den Brauch, auch nicht durch Examen qualifizierten Personen, 
zum Teil sogar unter Bevorzugung, den Zutritt zu den höheren Aemtern 
zu verschaffen, so wendet sich jene gegen die Uebung, das Ministerpersonal 
auf Kosten des Staates beliebig zu vermehren. Der praktischen Durch- 
führbarkeit der hier dargestellten Regelung steht ROLLAND etwas skeptisch 
gegenüber, doch erkennt er an, daß jedenfalls ein guter Schritt vorwärts 
getan ist, um ein Kardinalübel des französischen Staatslebens zu treffen. — 
Die Abtrennung der Leitung des Gefängniswesens von dem Ministerium 
des Innern und ihre Zuweisung an den Unterstaatssekretär der Justiz (durch 
Dekret vom 13. III. 1911) gibt J. BARTHELEMY Veranlassung, im Zusammen- 
hang mit der Prüfung der Legalität dieser Regelung die Entwicklung der 
Staatssekretariate, dieser „Ministerien II. Ranges“ von ihrem Anbeginn 
(8. 335—379) (1816) an bis zur Gegenwart zu verfolgen. In dem Aufsatz 
„sur l’interpretation des lois par le Parlament la retroactivite des lois: 
l’Etat et le contrat“ (S. 129—163) wendet er sich gegen die Versuche, Ge- 
setze durch Majoritätsbeschluß einer Kammer einseitig interpretieren zu 
wollen und verteidigt weiter — m. E. zu Unrecht — die Auffassung, daß 
gegenüber den Konzessionen (z. B. von Eisenbahnen) der Staat-Konzedent 
an den Konzessionsvertrag im Prinzip unbedingt gebunden sei, d. h. selbst 
durch Gesetz eine Abänderung nicht vornehmen dürfe. — Von den 
sonstigen Abhandlungen möchte ich neben ERRERAs Arbeit „la personi- 
fication civile des Universites de Bruxelles et de Louvain (p. 653—672) 
noch auf den recht interessanten Aufsatz von JEZE: „un recueil de la 
theorie des actes de gouvernement* (663—684) hinweisen, in dem der Ver- 
fasser ein Urteil des Tribunal des conflits behandelt und billigt, das sich 
— im konkreten Fall m. E. nicht mit Recht — gegen den Grundsatz 
der Staatsraison und die Uebung wendet, Akte der Regierung, insbesondere 
diplomatischer Vertreter, durch die Berufung auf diesen Notstand der 
richterlichen Prüfung zu entziehen. 
Frankfurt a/M. Dr. Karl Strupp.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.