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Vertragsrechten gegen andere Bundesstaaten aufgäben, vielmehr
wird in der Einleitung der deutschen Verfassungsurkunde als
Zweck des Bundes auch der Schutz des in dem Bundesgebiet
gültigen Rechts angegeben. Bezüglich der nach der Gründung des
Norddeutschen Bundes oder des Deutschen Reichs geschlossenen
Verträge läßt sich vielleicht sagen, daß diese unter dem selbst-
verständlichen Vorbehalt geschlossen würden, die darin begründeten
Rechte sollten nur so lange geltend gemacht werden dürfen, bis
die Bundesgesetzgebung eingreife!°. Dieses würde aber für die
früher geschlossenen Verträge nicht zutreffen. Es wird auch jetzt
noch sowohl von der preußischen Staatsregierung wie von dem
Reiche anerkannt, daß die Verträge, welche zwischen Bundes-
staaten untereinander und zugleich mit einem auswärtigen Staate
geschlossen sind, dem ausländischen Staat gegenüber aufrecht er-
halten werden müssen. Worauf beruht diese Unterscheidung
zwischen den Bundesstaaten und den auswärtigen Staaten? Doch
wohl auf keinem materiellen Rechtsgrund, sondern darauf, daß
der deutsche Bundesstaat, welchem durch die Reichsgesetzgebung
sein Vertragsrecht gegen einen anderen Bundesstaat entzogen wird,
einer solchen Maßregel gegenüber wehrlos is. Mit anderen
Worten, die Frage wird nicht als eine Rechts- sondern als eine
Machtfrage angesehen. Der Zweck des Bundes, das in dem Bundes-
gebiet gültige Recht zu schützen, wird außer Acht gelassen.
Bismarck wurde einmal unterstellt, sich dahin ausgesprochen zu
haben, Macht geht vor Recht; er verwahrte sich entschieden
gegen eine solche Unterstellung. Das war im Jahre 1863, ist also
lange her. Wie steht es hiermit jetzt? Wie verhält sich ins-
besondere der Art. V des Gesetzes vom 24. Dezember 1911 zu
diesem Satze?
Was .die Konsequenzen, welche die Auffassung der Reichs-
regierung und der preußischen Staatsregierung mit sich bringt,
10 Vgl. hierüber Archiv für öffentliches Recht Bd. 29, S. 79 ff.