— 368 —
Reichsgesetz vom 24. Dezember 1911 ohne Anstand hinwegge-
setzt.! Kann sie nicht das Gleiche tun bezüglich der in den
Wiener Verträgen getroffenen Vereinbarungen über den Territorial-
bestand der deutschen Bundesstaaten? Für ein solches Eingreifen
in den Besitzstand der deutschen Staaten würde man sich jeden-
falls auf den „Vorgang“ in dem Gesetze vom 24. Dezember 1911
mit ganz anderem Rechte berufen können, als die preußische Re-
gierung für die Bestimmung des Art. V auf das Gesetz von 1886.
Nun darf man allerdings nicht übersehen, daß, wenn der
Reichstag obne Widerstreben sich dazu bestimmen ließ, die frag-
lichen, zwischen den Bundesstaaten bestehenden Vertragsrechte
zu beseitigen, solches sich daraus erklärt, daß die Einführung
von Schiffahrtsabgaben in dem wirtschaftlichen Interesse einer
großen Partei lag. Wäre dieses nicht der Fall gewesen, so wäre
voraussichtlich ein erheblicher Widerspruch gegen die Absicht
der preußischen Staatsregierung und des Bundesrats im Reichs-
tage hervorgetreten. In anderen Fällen wird es der preußischen
Staatsregierung wahrscheinlich größere Schwierigkeiten bereiten,
sich durch Reichsgesetz von Vertragsverpflichtungen gegen andere
Bundesstaaten dispensieren zu lassen. Aber entsteht denn nicht
die Gefahr, daß wir in einen Zustand geraten, in welchem die
Aufreehterhaltung wohlerworbener Rechte von den Parteiverhält-
nissen im Bundesrat und im Reichstage abhängt?
11 Vgl, Das Recht, Bd. XVI, 8. 218 ff.