Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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Tatverhältnis. Jede rechtliche Befugnis, die sein Spruch gewährt, 
bedeutet eine Schranke für ein Gegenüber. Die Verpflichtung 
dazu braucht nun zwar..... nicht in überlieferten Rechtsätzen 
ausgesprochen zu sein. Aber das Zusammenleben muß das Gefühl 
einer solchen Schranke, daß ein solches Maß von Rücksichtnahme 
von den anderen gefordert werden müsse, schon vorher erzeugt 
haben; ... die Vernachlässigung jener Pflicht muß schon zu der 
Zeit, als sich der dem Richter vorliegende Tatbestand historisch 
abspielte, als eine Interessenverletzung empfunden worden sein, 
die sich der andere nicht gefallen zu lassen brauche“ (S. 44, 45). 
Es handelt sich um Findung von „latent, d.h. empfindungsmäßig 
vorhandenem, aber erst an diesem Einzelkonflikt bewußt gewor- 
denen Recht* (8. 46). Die Grundlagen unseres Urteilens, wenn 
wir ein konkretes Verhalten als rechtsgemäß, billig usw. emp- 
finden, sind ethischer Natur (S. 50, 51). Das bloße Gefallen 
oder Mißfallen an uns nützlichen bezw. schädlichen menschlichen 
Handlungen bedeutet noch keine Ethik ; erst wenn das Werturteil 
auch auf die eigenen Handlungen angewendet wird und wenn es 
in Verbindung tritt mit der durch innere Anschauung gewonnenen 
Ueberzeugung von der Freiheit des Willens, gehört das Urteil der 
Ethik an (S. 53, 61). Jung will jedoch unter Verzicht auf meta- 
physische Begründungen „den Geltungsgrund des Rechts, oder 
auch die Vorstellung von einem ‚natürlich‘ verpflichtenden Recht, 
ganz empirisch und realistisch aus den Tatsachen des Gemein- 
schaftslebens selbst und dem daraus sich ergebenden Aufeinander- 
wirken der sich gegenüberstehenden Willen“ gewinnen (8. 54, 55). 
Die Urerscheinung des Rechtslebens ist „die Reaktion des einzelnen 
Interessenten gegen ein Verhalten, das er als Verletzung empfindet, 
unterstützt von dem Empfinden der anderen Unbeteiligten und von 
der körperlichen Hilfe seiner Sippe und schließlich der organi- 
sierten Gesamtheit“ (8.65). Wesentlich ist der Rechtspflicht gegen- 
über der moralischen Pflicht, „daß ein Gegenüber ihre Erfüllung 
verlangt und bei ihrer Niehterfüllung gegenüber dem Verletzer
	        
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