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zuerst nur für die Ausfüllung der Lücken des Gesetzes- und Ge-
wohnheitsrechtes gesucht wurde, zur Erklärung des gesamten
Privatrechtes verwendet.
Ausgangspunkt ist demnach die Lückenhaftigkeit unserer
Rechtsordnungen. Nun ist sicherlich die Meinung, alle Entschei-
dungen ließen sich durch bloße Deduktion aus dem geschriebenen
Recht oder auch aus dem geschriebenen und dem Gewohnheitsrecht
eindeutig ableiten, ein Irrtum und die Lehre von der logischen Ge-
schlossenheit der Rechtsordnung in diesem Sinne ist auch heute
wohl von der überwiegenden Mehrheit verlassen. Trotzdem hätte es
sich gelohnt, auf den Begriff der logischen Geschlossenheit näher
einzugehen als dies JUNG getan hat. Denn noch immer gibt es
Autoren, welche an den alten Dogmen festhalten oder ihnen eine
neue Bedeutung zuzuschreiben bemüht sind. So hätte JUNG bei-
spielsweise aus dem Buche von KELSEN, Hauptprobleme der Staats-
rechtslehre, 1911, und jenem von ERICH KAUFMANN, Das Wesen
des Völkerrechts und die clausula rebus sie stantibus, 1911, zwei
Werken, welche der Verfasser leider nieht mehr benützt hat, er-
fahren können, daß die Theorie von der logischen Geschlossenheit
der Rechtsordnung noch lange nicht abgetan ist. Vor allem aber
finden sich unter den Praktikern, soviel ich zu sehen vermag, sehr
viele überzeugte Anhänger der Lehre von der Lückenlosigkeit des
Rechtes.
Es sei mir daher hier gestattet, dieser Materie einige kurze
Bemerkungen zu widmen. Die nähere Ausführung und Verwertung
des hier Vorgebrachten zu weiteren Ergebnissen muß allerdings
einer späteren eingehenderen Studie vorbehalten bleiben.
Meines Erachtens wäre es von höchster Wichtigkeit, zwischen
jener Quelle zu unterscheiden, aus welcher der Inhalt des Ober-
satzes für einen behördlichen (richterlichen) Schluß geschöpft
wird, und jener, welche die Quelle der ersten Art als maßgebend,
als verbindlich erklärt. So kommt man zu einem (Gegensatz
Archiv des öffentlichen Rechte. XXX. 8. 25