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Lückenlosigkeit ihre Zuflucht zu nehmen. Unter diesem Gesichts-
punkt ist es zu bedauern, daß JUNG den Erfahrungssätzen nicht
mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat.
Noch in einer zweiten Hinsicht hat JUNG meines Erachtens
den Umfang des regelhaften, unabhängig von subjektiven Wert-
urteilen ermittelbaren Rechtes unterschätzt. Es handelt sich um
jene Rechtssätze, welche ich in der eben erwähnten Arbeit „Das
freie Ermessen und seine Grenzen‘, 10 ff. und in dem Aufsatz
„Zum Problem des freien Ermessens“* in der Festschrift für Ernst
Zitelmann zu seinem 60. Geburtstage, 21 ff., gelegentlich auch in
Grünhuts Zeitschrift, XXXIX, 334, als Sätze des „natürlichen“
Rechtes hinzustellen versuchte. Vermöge der Gleichheit der mensch-
lichen Logik bilden sich beim Vorhandensein gleicher oder sehr
ähnlicher tatsächlicher Verhältnisse, Erfahrungssätze, gesetzlicher
oder gewohnheitsrechtlicher Bestimmungen, gleiche Anschauungen
über dasjenige aus, was notwendig zu jenen gesetzlichen und ge-
wohnheitsrechtlichen Bestimmungen hinzugedacht werden muß, um
sie verständlich und anwendbar zu machen. So gelangen wir für
das Recht der verschiedensten Staaten zur Annahme gleicher Rechts-
sätze und dadurch zur Konstruktion gleicher Rechtsbegriffe über
die materielle Rechtskraft, die Nichtigkeit, das freie Ermessen, die
Parteirollen, das subjektive Recht, die Befehls- und Zwangsgewalt,
die Abgrenzung der polizeilichen von anderer Verwaltungstätig-
keit usw. usw. Eine nähere rechtsphilosophische Begründung der
vorgebrachten Behauptung muß einer späteren ausführlicheren
Arbeit überlassen werden.
Wo Gesetze auf natürliches Recht in dem erwähnten Sinn
Bezug nehmen, namentlich dort, wo sie wissenschaftliche Begriffe
wie materielle Rechtskraft u. dgl. verwerten, sind objektiv fest-
stellbare Regeln gegeben und ist ein Zurückgehen auf subjektive
Wertschätzungen überflüssig und für denjenigen, der die Verbind-
lichkeit des Gesetzes anerkennt, unzulässig. Aber auch wo das
Gesetzes- und Gewohnheitsrecht gänzlich versagt, kann die Gleich-