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heit des menschlichen Denkens zur Annahme von natürlichen
Rechtssätzen führen. Dann ist das natürliche Recht ursprüngliche
Rechtsquelle ebenso wie das Gesetzes- und Gewohnheitsrecht. Bei-
spiele sind im Verwaltungsrecht, das wohl in allen Staaten
zahlreiche klaffende „echte Rechtslücken* aufweist, mühelos zu
finden.
Die historische Schule und die unter deren Einfluß entstandene
heute vorwiegende Meinung beruft sich nun häufig auf die „Natur
der Sache“ als ein Mittel der Gesetzesauslegung. JUNG und andere
Vertreter der neuen Bewegung entgegnen, daß dies ein Zurück-
gehen auf das Rechtsgefühl, auf die BRechtsfindung, bedeute
und daß damit das Dogma von der Geschlossenheit der Rechts-
ordnung aufgegeben sei. Diese Einwendung ist sicherlich unbe-
gründet, wenn und soweit natürliches Recht in dem erörterten
Sinne entweder als ein wirkliches Interpretationsmittel heran-
gezogen wird oder als ein vermeintliches, wo in Wahr-
heit eine dritte ursprüngliche Rechtsquelle zur Ausfüllung nicht
erkannter oder hinwegdisputierter echter Lücken des Gesetzes- oder
Gewohnheitsrechtes dient.
Berücksichtigt man, was eben über die Erfahrungssätze und
das natürliche Recht ausgeführt wurde, so vermindern sich Zahl
und Umfang der echten Rechtslücken gegenüber den Annahmen
JUNGs und anderer Schriftsteller ganz bedeutend. Immerhin bleiben
noch genug Lücken übrig. So namentlich im Verwaltungsrecht,
das wohl in keinem modernen Kulturstaat auch nur annähernd
lückenlos geregelt sein dürfte. Im Privatrecht freilich mögen auf
dem Boden mancher Rechtsordnung die materiellen Rechtslücken,
diejenigen Materien, welche weder vom Gesetz mittelbar durch Ver-
wertung von Erfahrungssätzen oder von natürlichen Rechtssätzen
noch unmittelbar von natürlichen Rechtssätzen geregelt sind, selten
sein. In der Tat ist es auffallend, daß die Verteidiger der logischen
Geschlossenheit, denen eine materielle Lückenlosigkeit vorschwebt,
wie.es scheint, fast ausschließlich Vertreter der Privatrechtsdisziplinen