Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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oder des römischen Rechtes sind. Immerhin sind doch auch sicher- 
lich in jeder Privatrechtsordnung materielle Rechtslücken vermöge 
der Unvollkommenheit alles Menschenwerkes unvermeidlich, selbst 
wenn die Kodifikatoren materielle Geschlossenheit beabsichtigt 
haben. Abgesehen davon können materielle Lücken gelassen sein, 
indem Anweisungen erteilt werden, nach dem Rechtsgefühl oder 
nach freiem Ermessen zu entscheiden. 
Was das freie Ermessen anbelangt, so sei es mir gestattet, 
auf die Ausführungen in meiner Arbeit „Das freie Ermessen und 
seine Grenzen“ S.61ff., 79 ff. und in dem Aufsatz „Zum Problem 
des freien Ermessens“ in der Festschrift für Ernst Zitelmann zu 
seinem 60. Geburtstage, 27 ff. hinzuweisen. Aufträge an den Richter, 
nach seinem Rechtsgefühl zu entscheiden, glaubte ich in der zuerst 
zitierten Schrift im schweizerischen Zivilgesetzbuch und im eng- 
lischen Recht zu finden (S.7, 8), im übrigen, also in erster Linie 
für Deutschland und Oesterreich, gab ich der Meinung Ausdruck, 
daß die Lehren der Freirechtsschule, welche die Rechtsanwendung 
durch die „freie Rechtsfindung“ ersetzen wollen, zwar als Forde- 
rungen de lege ferenda Bedeutung gewinnen können, de lege lata 
aber im allgemeinen keine Grundlage im geltenden Recht (Gesetzes-, 
Gewohnheits- und natürlichem Recht) haben (S.9). Inzwischen durch 
weitere Studien über die Rechtsquellenbewegung, unter anderen 
durch die Lektüre der vorliegenden Publikation JUNGs belehrt, 
darf ich vielleicht hier kurz der Ueberzeugung Ausdruck geben, 
daß das Gesetz durch Verwendung von Bezeichnungen wie „Treu 
und Glauben‘, „Verkehrssitte“, vor allem aber von solchen, wie 
„Billigkeit“, „Angemessenheit“ u. dgl. den Auftrag erteilen kann, 
nach subjektiver Wertschätzung, nach Rechtsgefühl zu entscheiden 
oder vorzugehen, oder, in meiner Terminologie (a.a. 0. 8.1), nicht 
Recht anzuwenden, sondern Recht zu finden. Ob Rechts- 
findung angeordnet oder ob bloß auf Erfahrungssätze und natür- 
liches Recht Bezug genommen sei, ist Frage der Auslegung. Es 
zeigt sich hier eine interessante Parallele mit der gesetzlichen
	        
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