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dete, konnte er nicht voraussehen, daß sie, beharrlich erweitert,
bis heute die Richtung der amerikanischen Politik gegenüber
Europa bestimmen würden. Wieder und wieder haben sich im
Lauf der Zeit die amerikanischen, vor allem die Vereinigten
Staaten auf die Monroedoktrin berufen; wieder und wieder haben
sie versucht, Europa zu ihrer Anerkennung zu bewegen. Cha-
rakteristische Beispiele — aber nur Beispiele — für ihre An-
wendung der Monroedoktrin finden sich in den Aufzeichnungen
des früheren amerikanischen Botschafters in Berlin, ANDREW
DiIcKkson WHITE, die unter dem Titel „Aus meinem Diplomaten-
leben“ in verkürzter Form auch deutsch erschienen sind!. Aus
ihnen ergibt sich, welche Mühe sich die amerikanischen Vertreter
auf der ersten Haager Friedenskonferenz gegeben haben, die Mon-
roedoktrin zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. Aber weder
auf der ersten noch auf der zweiten Haager Konferenz ist die
erhoffte Annahme durch die europäischen Großmächte erfolgt.
Um so größer war in Amerika die Genugtuung, als SIR EDWARD
GREY in einer öffentlichen Ansprache am 23. Mai 1911 die Mon-
roedoktrin insofern anerkannte, als er ihre Existenz für die amerl-
kanische Politik bestätigte”. Man erklärte dies alsbald für eine
Anerkennung, obschon der englische Staatssekretär sich nicht
mit einer Silbe über den weniger selbstverständlichen Punkt ge-
äußert hatte, ob auch England die Monroedoktrin in seiner Po-
litik beobachten werde. Zu einer solchen Erklärung dürfte ein
europäischer Staatsmann um so weniger bereit sein, als die Mon-
roedoktrin von heute recht verschieden von der Monroedoktrin
ist, die 1823 die Verhinderung endloser Kolonialkriege in Süd-
amerika bezweckte. Leitet man doch in Amerika jetzt aus ihr
sogar die Forderungen ab, daß jeder Kanal durch den Isthmus
von Mittelamerika unter amerikanischer Aufsicht stehen müsse,
und daß keiner der europäischen Staaten, der amerikanischen
ı Deutsch von H. MORDAUNT, Leipzig 1906.
® The Times (London) vom 24. Mai 1911.