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Kolonialbesitz hat, diesen erweitern oder an eine andere europäi-
sche Macht abtreten darf!
Was man für die Zukunft von der Monroedoktrin erwartet,
darüber gibt ein Vortrag Aufschluß, der von LUIS ANDERSON,
dem Minister des Auswärtigen von Costa Rica, am 26. April
1912 in Washington vor den Mitgliedern der American Society
of International Law gehalten wurde und jetzt auch im Druck
vorliegt*. Die Ausführungen berühren sich mannigfach mit den
Veröffentlichungen von ALEJANDRO ALVAREZ über das Verhältnis
Amerikas, besonders des lateinischen Amerika, zum internationalen
Recht ®.
Nach einem kurzen Rückblick auf die Umstände, welche die
Kundgebung des Präsidenten MONROE hervorriefen, faßt ANDERSON
ihre geschichtliche Bedeutung dahin zusammen, daß Amerika es
ihr zu danken habe, wenn die Kolonialwünsche der europäischen
Staaten bisher die Länder des spanischredenden Amerika ver-
schont hätten. Dieser Erfolg sei vor allem der die Monroedok-
trin vertretenden, geschickten und beharrlichen Politik der Ver-
einigten Staaten zuzuschreiben, aber es frage sich doch, ob sie
ın Zukunft imstande sein werde, die schwächeren amerikanischen
Staaten vor den Eroberungsgelüsten der europäischen Großmächte
zu schützen. „Noch vor kurzem“, sagt ANDERSON wörtlich,
„hörte man im deutschen Reichstage Sätze, die in der ganzen
zivilisierten Welt widerhallten und von keinem Geringeren als
® Proceedings of the American Society of International Law at its 6th.
annual meeting, held at Washington D.C. April 25—27, 1912 (Washington
1912) p. 72—82.
* Vergl. ALEJANDRO ALVAREZ, Latin America and International Law
(1909) im American Journal of International Law vol. 3 p. 269—353 (cf. eben-
dort p. 429); American International Law in den Proceedings of the Ame-
rican Society of International Law 1909 p. 206—219; Le droit international
americain (Paris 1910). Der Verfasser tritt in all diesen Arbeiten mit der
Ansicht hervor, daß es spezifisch amerikanische Probleme im internationalen
Recht gebe, und daß man deshalb von einem amerikanischen internationalen
Recht sprechen könne. Dessen Grundlage sei vor allem die Monroedoktrin.