— 481 —
Interesse ist die Kenntnis des amerikanischen Verfassungsrechtes in Deutsch-
land. Die Zahl derer, die die Verfassungen des Bundesstaates diesseits
und des jenseits des Wassers beurteilen können, ist gering. Einer der
besten Kenner in Deutschland ist in JELLINEK der Wissenschaft beider Erd-
teile entrissen worden,
So war es ein starkes Bedürfnis, daß wir nach der vortrefflichen aber
veralteten Darstellung von HousT’s eine moderne und brauchbare des
amerikanischen Verfassungsrechtes bekamen, umsomehr als die staatsrecht-
lichen Verhältnisse dieses Landes, entsprechend der Schnelligkeit seiner
Fortentwicklung, in stärkstem Flusse begriffen sind. Was wir außer
Host bisher besaßen, ist wenig: BRYcE’s American Commonwealth ist
gewiß ein Werk ersten Ranges, klassisch im Inhalt, wie in der Form
Aber abgesehen davon, daß es nicht allzuviel in Deutschland gelesen sein
dürfte, ist es nicht so sehr ein Verfassungsrecht, als vielmehr ein Spiegel
der in Amerika wirksamen politischen Kräfte.
Es war ein glücklicher Griff der Herausgeber des öffentlichen Rechts
der Gegenwart, daß sie den Verfasser für die Bearbeitung der nord-
amerikanischen Verfassung gewannen. Denn wie er als Professor des
öffentlichen Rechts an der Universität Chicago, einer der ange-
sehensten des Landes, genaue Kenntnis amerikanischer staatsrechtlicher
Verhältnisse besitzt, so bringt er auf der andern Seite die theoretische
Schulung des deutschen Juristen mit. Der praktische Sinn, den wir dem
Amerikaner schlechthin zusprechen (und über dem wir geneigt sind, den
gewaltigen Idealismus des Landes zu unterschätzen), steckt auch in diesem
Buche. Das hat in erster Linie Vorzüge. Nirgends verliert der Verfasser
die Fühlung mit den Ereignissen des Tages. Keine staatsrechtliche Frage von
praktischer Bedeutung ist, soweit der Referent urteilen kann, übergangen.
Vielleicht aber hat es hie und da auch seine Schattenseite.e Wo wir in
Deutschland eine generelle Erörterung und die grundsätzliche Austragung
großer Streitfragen erwarten würden, neigt der Verfasser mehr zu kasuisti-
scher Behandlung. Deren Wert soll nicht unterschätzt werden. Aber sie
macht eine allgemeine Stellungnahme des Verfassers zu theoretischen Pro-
blemen des Verfassungsrechtes nicht entbehrlich, wie etwa zu dem der
Souveränität des Bundes und der Einzelstaaten (S. 19f.); stark kasuistisch
ist die Behandlung der Grundrechte und ihrer Schranken (s. besonders 8. 49 ff.
71ff. usw.). Doch daraus wird man dem Verfasser keinen Vorwurf machen
dürfen: Er trägt hierin dem Brauch amerikanischer Wissenschaft Rech-
nung. — Im übrigen sei der Inhalt des umfassenden Buches kurz zusammen-
gefaßt. Ein erster Teil behandelt die staatlichen Grundlagen und Organe:
Die rechtliche Konstituierung der Unionsteile (A), der Bund und die Staaten
(B), Volk und Volksrechte (C), sowie die Organisation der Regierungsgewalt
folgen einander, das letzte Kapitel die wichtige Lehre von der Teilung der
Gewalten und diese letzteren selbst im einzelnen umfassend. Der zweite