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er sich eingehend auseinandersetzt*, aufzuweisen vermag.
Man darf es daher dankbar begrüßen, daß L£on MICHOUD in einem
interessanten und geistreichen Beitrag zur Festschrift für GIERKE® die
deutschen Staatsrechtler in Umrissen mit der Duguitschen Lehre vom
Staate bekannt zu machen versucht hat. Trotz des Erscheinens dieses
dankenswerten Aufsatzes scheint es mir nicht überflüssig, bei Gelegenheit
der Besprechung dieses neuesten, zur Zeit der Abfassung des Michoudschen
Aufsatzes nicht erschienenen Werkes des Bordeauxer Rechtslehrers im
ganzen, die äußerst wichtigen und gedankenreichen Ausführungen Dv-
GuITs über den Staat, die nunmehr einen großen Teil des I. Bandes seines
Traite de droit constitutionnel ausmachen, in Kürze auch meinerseits dar-
zustellen.
Wenn ich eingangs Duguit als das Haupt der „positivistischen * Staats-
rechtslehre bezeichnet habe, so ist damit klar umschrieben, welche Ten-
denz er in seinen Schriften verfolgt: Die Darstellung eines von allen
Schlacken juristischer Fiktionen befreiten Staates®. Ich vermeide das Wort
Konstruktion. Würde ich dies gebrauchen, so müßte ich mir vielleicht
einen Vorwurf von D. gefallen lassen. Denn er will ja lediglich konsta-
tieren, daß außerhalb unseres Ideenkreises ein Staat wirklich existiert, nur
daß er ihn nicht als Person, als mit Willen begabten Träger von Rechten
und Pflichten sich vorstellt. Während uns die Wirklichkeit zwar Indivi-
zeichnet, ist die Kenntnis selbst kleiner und bei uns nicht allgemein be-
kannter Arbeiten.
* Vgl., um nur einige willkürlich herausgegriffene Beispiele zu nennen,
Ss. 78: Theorie de la nation-organe; S. 95 f: Theorie du territoire el&ment
subjetif de l’Etat: S. 97: Theorie du territoire objectif (besonders hervor-
zuheben, weil sich hier D. als Anhänger der FricKkerschen Lehre bekennt);
vor allem aber die Souveränetätslehre S. 113 ff. (D. leugnet diesen Begriff),
die Unterscheidung zwischen Gesetz im formellen und im materiellen Sinne:
S. 132 ff. usw.
5 La personnalite et les droits subjectifs de l’Etat dans la doctrine
francaise contemporaine. Festschrift zu Gierkes 70. Geburtstag, 1911,
S. 493 ff., insbesondere 8. 500—511. Vgl. aber auch schon LE Fur, l’Etat,
la souverainete et le droit in der Zeitschrift für Völkerrecht und Bundes-
staatsrecht 1906, p. 13.
® Am schärfsten findet sich das nicht in dem hier zu besprechenden
Werke, sondern im „Etat“ I 21, ausgesprochen: „Le monde du droit n’est
pas ce monde ferme que nous montrent certains juristes, monde separe de
la realite, monde ideal, c’est un monde de faits tangibles qu’il faut expli-
quer et classer, ce sont des volontes humaines qu’il faut saisir dans leurs
manifestations concrötes; c’est l’effet social qu’elles produisent; c'est la
force materielle qu’elles mettent en jeu, qu’il faut constater et apprecier.“