Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

— 489 — 
er sich eingehend auseinandersetzt*, aufzuweisen vermag. 
Man darf es daher dankbar begrüßen, daß L£on MICHOUD in einem 
interessanten und geistreichen Beitrag zur Festschrift für GIERKE® die 
deutschen Staatsrechtler in Umrissen mit der Duguitschen Lehre vom 
Staate bekannt zu machen versucht hat. Trotz des Erscheinens dieses 
dankenswerten Aufsatzes scheint es mir nicht überflüssig, bei Gelegenheit 
der Besprechung dieses neuesten, zur Zeit der Abfassung des Michoudschen 
Aufsatzes nicht erschienenen Werkes des Bordeauxer Rechtslehrers im 
ganzen, die äußerst wichtigen und gedankenreichen Ausführungen Dv- 
GuITs über den Staat, die nunmehr einen großen Teil des I. Bandes seines 
Traite de droit constitutionnel ausmachen, in Kürze auch meinerseits dar- 
zustellen. 
Wenn ich eingangs Duguit als das Haupt der „positivistischen * Staats- 
rechtslehre bezeichnet habe, so ist damit klar umschrieben, welche Ten- 
denz er in seinen Schriften verfolgt: Die Darstellung eines von allen 
Schlacken juristischer Fiktionen befreiten Staates®. Ich vermeide das Wort 
Konstruktion. Würde ich dies gebrauchen, so müßte ich mir vielleicht 
einen Vorwurf von D. gefallen lassen. Denn er will ja lediglich konsta- 
tieren, daß außerhalb unseres Ideenkreises ein Staat wirklich existiert, nur 
daß er ihn nicht als Person, als mit Willen begabten Träger von Rechten 
und Pflichten sich vorstellt. Während uns die Wirklichkeit zwar Indivi- 
zeichnet, ist die Kenntnis selbst kleiner und bei uns nicht allgemein be- 
kannter Arbeiten. 
* Vgl., um nur einige willkürlich herausgegriffene Beispiele zu nennen, 
Ss. 78: Theorie de la nation-organe; S. 95 f: Theorie du territoire el&ment 
subjetif de l’Etat: S. 97: Theorie du territoire objectif (besonders hervor- 
zuheben, weil sich hier D. als Anhänger der FricKkerschen Lehre bekennt); 
vor allem aber die Souveränetätslehre S. 113 ff. (D. leugnet diesen Begriff), 
die Unterscheidung zwischen Gesetz im formellen und im materiellen Sinne: 
S. 132 ff. usw. 
5 La personnalite et les droits subjectifs de l’Etat dans la doctrine 
francaise contemporaine. Festschrift zu Gierkes 70. Geburtstag, 1911, 
S. 493 ff., insbesondere 8. 500—511. Vgl. aber auch schon LE Fur, l’Etat, 
la souverainete et le droit in der Zeitschrift für Völkerrecht und Bundes- 
staatsrecht 1906, p. 13. 
® Am schärfsten findet sich das nicht in dem hier zu besprechenden 
Werke, sondern im „Etat“ I 21, ausgesprochen: „Le monde du droit n’est 
pas ce monde ferme que nous montrent certains juristes, monde separe de 
la realite, monde ideal, c’est un monde de faits tangibles qu’il faut expli- 
quer et classer, ce sont des volontes humaines qu’il faut saisir dans leurs 
manifestations concrötes; c’est l’effet social qu’elles produisent; c'est la 
force materielle qu’elles mettent en jeu, qu’il faut constater et apprecier.“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.