Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

— 520 — 
energetisch zu begrüßen und läßt, wie die meisten rechtstech- 
nischen, rechtsformalen Erwägungen, eine leidlich glatte 
energetische Rechnung zu. Daneben gibt es noch eine andere 
Art der „Auslegung“, die mehr den Inhalt als die Form des Ge- 
setzes angeht. Es ist deshalb hier statt der technischen die psy- 
chologische Entstehungsweise der Gesetze zu betrachten. 
Das Wesen gesetzlicher Regelung überhaupt besteht in der 
Zusammenfassung einer Reihe von Einzelerscheinungen von recht- 
licher Erheblichkeit unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte. 
Das Gesetz als einzelne Norm verhält sich zu der Vielheit der 
rechtserhebliehen Tatbestände wie logisch der Begriff zu der Menge 
der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen. Durch Weglassung 
der verschiedenartigen Merkmale und Vereinigung der gemein- 
samen Eigenschaften entsteht der abgezogene Rechtssatz, in dem 
um so mehr Leben und innere Wahrheit enthalten ist, je mehr 
Tatbestände des wirklichen Rechtsgeschehens zu seiner Entstehung 
gedient haben. Wir denken an KAnts Wort: „Begriffe ohne An- 
schauung sind leer.“ Auch das Verhältnis zwischen Inhalt und 
Umfang des Gesetzes ist, wie beim Begriffe, derart, daß je mehr 
Inhalt das Gesetz hat, je spezieller es ist, desto geringer die Zahl 
der Tatbestände sein wird, auf die es Anwendung findet, und 
umgekehrt: je inhaltsärmer das Gesetz, je allgemeiner die Vor- 
schrift, desto zahlreicher sind die rechtlichen Tatbestände, zu deren 
Regelung es geeignet ist. Die beiden äußersten denkbaren Mög- 
lichkeiten sind die: auf der einen Seite gibt es ein Spezialgesetz 
für jeden nur vorkommenden einzelnen, rechtlichen Tatbestand. 
Dieses Spezialgesetz müßte alle die zahllosen Tatbestandsmerkmale 
des Falles in sich enthalten und würde nur auf einen einzigen 
Fall anwendbar sein. Oder es gibt nur eine einzige Norm von 
solcher Leere und Inhaltlosigkeit, daß sie überhaupt keinen spe- 
ziellen Fall regelt und darum auf alle Tatbestände paßt, die nur 
irgend auftauchen können; das wäre etwa die Norm suum cuique. 
Praktisch würde dieser Fall gleichbedeutend sein mit dem Fehlen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.