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energetisch zu begrüßen und läßt, wie die meisten rechtstech-
nischen, rechtsformalen Erwägungen, eine leidlich glatte
energetische Rechnung zu. Daneben gibt es noch eine andere
Art der „Auslegung“, die mehr den Inhalt als die Form des Ge-
setzes angeht. Es ist deshalb hier statt der technischen die psy-
chologische Entstehungsweise der Gesetze zu betrachten.
Das Wesen gesetzlicher Regelung überhaupt besteht in der
Zusammenfassung einer Reihe von Einzelerscheinungen von recht-
licher Erheblichkeit unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte.
Das Gesetz als einzelne Norm verhält sich zu der Vielheit der
rechtserhebliehen Tatbestände wie logisch der Begriff zu der Menge
der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen. Durch Weglassung
der verschiedenartigen Merkmale und Vereinigung der gemein-
samen Eigenschaften entsteht der abgezogene Rechtssatz, in dem
um so mehr Leben und innere Wahrheit enthalten ist, je mehr
Tatbestände des wirklichen Rechtsgeschehens zu seiner Entstehung
gedient haben. Wir denken an KAnts Wort: „Begriffe ohne An-
schauung sind leer.“ Auch das Verhältnis zwischen Inhalt und
Umfang des Gesetzes ist, wie beim Begriffe, derart, daß je mehr
Inhalt das Gesetz hat, je spezieller es ist, desto geringer die Zahl
der Tatbestände sein wird, auf die es Anwendung findet, und
umgekehrt: je inhaltsärmer das Gesetz, je allgemeiner die Vor-
schrift, desto zahlreicher sind die rechtlichen Tatbestände, zu deren
Regelung es geeignet ist. Die beiden äußersten denkbaren Mög-
lichkeiten sind die: auf der einen Seite gibt es ein Spezialgesetz
für jeden nur vorkommenden einzelnen, rechtlichen Tatbestand.
Dieses Spezialgesetz müßte alle die zahllosen Tatbestandsmerkmale
des Falles in sich enthalten und würde nur auf einen einzigen
Fall anwendbar sein. Oder es gibt nur eine einzige Norm von
solcher Leere und Inhaltlosigkeit, daß sie überhaupt keinen spe-
ziellen Fall regelt und darum auf alle Tatbestände paßt, die nur
irgend auftauchen können; das wäre etwa die Norm suum cuique.
Praktisch würde dieser Fall gleichbedeutend sein mit dem Fehlen