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aller Gesetze. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Ge-
setzgebungspolitik aller Zeiten, die bald einer mehr speziellen,
bald einer allgemeinen, nur Richtlinien weisenden Regelung den
Vorzug gibt. Eine anerkannte Theorie, welche Art der Normie-
rung vorzuziehen ist, die kasuistische oder die generalisierende,
besteht nicht. Es werden daher immer mehr oder weniger prak-
tische Zweckmäßigkeitserwägungen sein, die hier durchgreifen.
Aber auch allgemeine Zeit- und Modeideen sprechen mit, ebenso
wie nationale und Stammeseigentümlichkeiten. Vom energetischen
Standpunkte läßt sich gleichfalls nicht viel zugunsten der einen
oder der andern Art rechtlicher Regelung anführen. Die kasu-
istische Gesetzgebung hat den energetischen Nachteil der quanti-
tativen Ausgedehntheit, andererseits aber den energetischen Vor-
zug, daß sie qualitativ den rechtlichen Tatbeständen mehr „auf den
Leib geschnitten“ und darum klarer, leichter anwendbar ist und
weniger für Sentiments und Willkür Spielraum übrig läßt.
Wenn wir nun hier voraussetzen, daß die Gesetze technisch
vollkommen sind, d. h. daß es ihnen gelingt, den Inhalt und Um-
fang ihrer Norm restlos zu formulieren, so können sie doch in-
haltlich versagen. Zwar müssen wir ein gewisses Maß inhalt-
licher Unvollkommenheit, mit dem jedes Gesetz von seiner Ge-
burt an behaftet ist, wie jedes Menschenwerk, hier in Abzug
bringen. Jede gesetzliche Regelung bringt nämlich als nivel-
lierende Regelung den Keim der Ungerechtigkeit gegenüber den
sogenannten Grenzfällen mit zur Welt‘. Wenn hier von einem
inhaltlichen Versagen der Gesetze über dieses Maß hinaus die
Rede ist, so bedeutet das: es zeigt sich bei der praktischen An-
wendung des Gesetzes, daß eine ganze Reihe rechtlicher Tat-
bestände von dem Gesetze ergriffen oder nicht ergriffen werden,
bei denen nach dem Zwecke des Gesetzes und dem Willen des
8 ZEILER, Gerichtshof für bindende Gesetzesauslegung S. 7 fg.
* Vgl. hierüber die geistvollen Ausführungen bei Rumpr, Volk und
Recht S. 50 fg.