— 592 —
den Kulturstaaten überhaupt Gesetze gemacht werden, ist ja doch
nicht derart sakrosankt, daß nicht für gewisse Fälle aus rechts-
politischen oder praktischen Gründen Ausnahmen bestehen. Die
Verordnungen des Kaisers, des Reichskanzlers, des Bundesrats und
zahlloser höherer und niederer Verwaltungsstellen sind ja sämt-
lich Rechtsnormen, die nicht, wie sonst Gesetze, entstehen. Da-
zu kommt, daß auch die jetzige nicht bindende Rechtsprechung
des Reichsgerichts und anderer höchster Gerichtshöfe bei der hohen
Autorität, die sie genießt, tatsächlich Recht schafft. Es ist daher
nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Kollegium hervorragender
Juristen auch de iure bindende Rechtsnormen erläßt und hierbei
Recht ändert. Eine Unterscheidung zwischen „politischen“ und
„unpolitischen* Gesetzgebungsproblemen, von denen die erste-
ren weiterhin der parlamentarischen Gesetzgebungsmaschine vor-
behalten sein sollen, während für die letzteren „die technischen
Aufgaben, die juristische Filigranarbeit“ ein einfacherer Weg der
Lösung eröffnet werden soll, erscheint bedenklich ®. Sie scheidet
den Rechtsstoff an einer Stelle, die weder mit hinreichender Sicher-
heit bestimmt ist noch einen trennenden Schnitt erfordert.
Da im übrigen der Rechtshof nur dann und dort in Wirk-
samkeit treten soll, wann und wo das gesetzte Recht technisch
und inhaltlich unvollkommen ist, so wird seine Tätigkeit in dem
Grade eingeschränkt werden, in dem die parlamentarische
Gesetzgebung sich technisch und inhaltlich vervollkommnet. Die
neue Einrichtung könnte daher mittelbar auch erzieherisch auf die
mitunter recht wenig sorgsame Gesetzesmacherei der Parlamente
wirken.
Wenn es noch einen grundsätzlichen Punkt gibt, in dem die
ZEILERschen Vorschläge von der hier vertretenen Auffassung ab-
weichen oder doch abzuweichen scheinen, so ist es folgender:
ZEILER will dem Auslegungsgerichtshofe nur Streitfragen
8 Vgl. HeoXk, Das Problem der Rechtsgewinnung (Tübingen 1912)
S. 42 fg.