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Allerdings steht dem Wahlkörper nicht, wie dem Gewählten ®
das Recht des jederzeitigen Rücktrittes zu. Allein die Versagung
dieses Rechts beruht auf praktischen und nicht auf grundsätz-
liehen Erwägungen. Es würde einen äußerst schwerfälligen
Apparat bedingen, wenn das Abberufungsrecht dem Wahlkörper
eingeräumt werden wollte. Man wird dem Gedanken, daß die
Abberufungsmöglichkeit dem Wesen des Verhältnisses entspreche,
dadurch gerecht, daß die Dauer des Mandates verhältnismäßig
kurz bemessen wird. In der konstitutionellen Monarchie steht
dem Fürsten das Recht der Auflösung der Abgeordnetenkammer
zu, und der Grundgedanke ist hier wohl der, den Wahlkörpern
Gelegenheit zu geben, ihr allfälliges Nichteinverständnis mit der
bisherigen Tätigkeit des Mandatars kund zu geben. In einzelnen
Schweizerkantonen steht dem Volke das Recht der jederzeitigen
Abberufung des Großen Rates zu‘.
Das Mandat an den Abgeordneten ist nur Mandat, nicht zu-
gleich Erteilung einer Vertretungsmacht. Der Abgeordnete wird
nicht Vertreter im Sinne eines Vollmachtträgers; er ist Vertreter
nur in dem Sinne, daß er die Anschauungen, Meinungen und
Wünsche seiner Wähler zur Grundlage seiner Tätigkeit macht.
Seine Willenserklärungen sind durchaus eigene; der Abgeordnete
erklärt nicht im Namen seiner Auftraggeber, sondern im eigenen
Namen; er ist niemandes Vertreter”.
afıin que leurs electeurs connaissent le sens de leur vote et puissent, s’il
y & lieu, leur demander des explications.“
5 Vgl. LABAnD, Staatsrecht des Deutschen Reiches I S. 340; TEZNER,
Die Volksvertretung S. 616. Abweichend das französische und englische
Recht, DuaUvIT a. a. O.II S. 269.
6 Bern Art. 22, Solothurn Art. 25, Baselland Art. 14, Schaffhausen Art. 44,
Aargau Art. 29 der Verfassung.
? LABAND, Staatsrecht des Deutschen Reiches I S. 296. Die Unklar-
heiten in dieser Beziehung waren jedenfalls auch dadurch veranlaßt, daß
man lange nicht zwischen Auftrag und Vollmacht, zwischen dem Handeln
in eigenem Namen und dem Handeln in fremdem Namen klar unterschied.
Erst LAaBanD, Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 10 8. 203 ff., hat diesen
Unterschied in seiner ganzen Tragweite aufgedeckt.