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Die Ausdehnung des Wahlrechts kann nicht ohne Rück-
wirkung auf die Anordnung der ersten Kammer bleiben.
Der Senator GIORGIO ARCOLEO, dessen meisterhafter Bericht
über die Reform des Senats zu einem der parlamentarisch wich-
tigsten zählt, drückte sieh in seiner, in der Sitzung vom 24. Juni
1912 gehaltenen Rede über die Wahlreform wie folgt aus:
„Bei den Fundamentalgesetzen muß man sieh nicht an das
Wünschenswerte, sondern an das Mögliche halten.
Auch das Parlament hat seine Pflichten: es hat alle Kräfte,
die unerläßliche Werkzeuge für das öffentliche Leben und die
Disziplin der neuen Wahl-Rekruten sind, zu organisieren, das
Wiederaufleben der Versammlungen zu fördern zur Richtsehnur
und zum Ansporn der Regierung, die in freien Staaten das wahre
Organ der Volksvertretung sein muß.
Aber hier stellt sich ein Problem entgegen, welches für jetzt
zurückgestellt werden kann, das jedoch möglicherweise in späterer
Zeit wieder erstehen wird. — Der Einfluß des erweiterten Stimm-
rechts kann sich nicht auf die Volkskammer allein beschränken,
ausgenommen, wenn man nicht die Allgewalt einer einzigen Kammer
haben will. —
Es gebietet dies die Logik, die Erfahrung und die Geschichte.
Keine hohe Kammer kann unbewegt und unerschütterlich bleiben
unter dem Druck oder der Bewegung, welche die Ausdehnung des
Wahlrechts auf die soziale Tätigkeit in den Organen des Staates
hervorbringt.
Das Zweikammer-System setzt voraus, daß eine Kammer die
andere vervollständigt, wie auch ihr Ursprung und die Struktur
sein mögen. Nur die streng konstitutionellen Staaten können die
erste Kammer zu einem Oberhofrat der Regierung erklären, wie
z. B. das Herrenhaus in Preußen, die Kammer der Magnaten in
Ungarn und den Bundesrat im Deutschen Reiche; hier übt eine