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BISMARCK die Annahme des Verfassungsentwurfs, wie er aus der
Schlußberatung des Reichstages hervorgegangen war. Bei der Fest-
stellung der Verfassung des Deutschen Reiches wurden
die Art. 60 und 62, wie auch der Art. 63, von dem später näher
die Rede sein wird, nur der Umwandlung des Bundes in ein Reich
entsprechend redaktionell verändert, inhaltlich jedoch unverändert
übernommen.
Dies ist kurz? die Entstehungsgeschichte derjenigen Verfas-
sungsbestimmungen, die von der numerischen Stärke unseres Heeres
handeln. Es war notwendig, einen kurzen Ueberblick hierüber
zu geben, da es unmöglich ist, diese Bestimmungen gänzlich los-
gelöst von den Motiven ihrer Verfasser mit Nutzen zu betrachten.
Wie weit man in der Berücksiehtigung dieser Motive gehen darf,
ist allerdings eine andere, sehr schwierige Frage, die von den
einzelnen Interpretatoren der Reichsverfassung in sehr verschie-
denem Sinne gelöst wird.
S 2.
Die Entwickelung seit dem Bestehen des Reiches.
Schon bei der Beratung des Entwurfs war die Frage aufge-
taucht, was Rechtens sein werde, wenn nach Ablauf des Provi-
soriums am 31. Dezember 1871 das Bundesgesetz, das nach der
kategorischen Behauptung des Art. 60 für die spätere Zeit die
Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres „feststellen würde“, nieht
zustande kommen sollte. Die Regierung und die Redner der
rechtsstehenden Parteien hatten die Gegner des Regierungsent-
wurfs darauf hingewiesen, daß es unmöglich angehe, einer staat-
lichen Einrichtung von der Wichtigkeit der Armee nur bis zu
einem gewissen Termin eine gesetzliche Grundlage zu geben, und
sie von da ab der Willkür des Reichstags auszuliefern, daß nach
Ablauf des Endtermins ein „Vacuum“ entstehen könne, dessen
Ausfüllung man ratlos gegenüberstehen werde. Die liberalen
“ Eine eingehende Darstellung findet sich bei Prruss Seite 1-38.