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werde. Dabei kann die Frage, ob das Friedenspräsenzgesetz ein
Gesetz im materiellen oder im formellen Sinne sei, ganz unberück-
sichtigt bleiben. Ganz besonders muß eine ausdrückliche Beziffe-
rung der Friedenspräsenzstärke nach unserer Theorie verlangt
werden, wenn sie organisatorischen Inhalt haben soll; denn nach
dieser Auslegung der Reichsverfassung enthält jedes Friedensprä-
senzgesetz mit dieser Bedeutung eine Schmälerung der verfassungs-
mäßigen Rechte des Kaisers, zu der doch wohl mindestens
ein Gesetz im formellen Sinne erforderlich wäre. Da indessen die
Friedenspräsenzgesetze durchaus keinen organisatorischen Inhalt
haben müssen, sondern auch lediglich die finanzielle Be-
deutung haben können, daß die hiernach festgestellte Ziffer dem
Etat zugrunde gelegt werden muß, ist nach unserer Theorie die
Frage, ob Art. 60 ein besonderes Spezialgesetz erfordere, selbst-
verständlich zu verneinen. Ein Friedenspräsenzgesetz
ist jadanach überhaupt keine Notwendigkeit,
sondern nur eine Möglichkeit der Bindung des
Reichstags für längere oder kürzere Zeit, die in der Verfas-
sung gar nicht hätte ausgesprochen zu werden brauchen. Reichs-
tag und Bundesrat sind demnach auch vollständig frei darin, in
welcher Weise sie das Militärbudget für die Zukunft schon sicher-
stellen wollen. So ist auch z. B. die Zeit vom 1. bis zum 15. April
1905, während deren kein Friedenspräsenzgesetz bestand. durch
das Etatsgesetz ausgefüllt worden.
87.
Das Vetorecht Preußens gegen Aenderungen der bisherigen
Friedenspräsenzstärke.
Zu einem wirklichen vacuum kann es nach dem Gesagten nur
dann kommen, wenn sowohl das Friedenspräsenzgesetz als auch
der Etat gescheitert sind. Ein solches Vacuum könnte auch
nicht durch das Vetorecht vereitelt werden. das nach Art. 5 Ab-