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man nicht beim Fehlen eines Friedenspräsenzgesetzes den Kaiser
als nunmehr frei in der Bestimmung des Präsenzstandes be-
zeichnen, ohne zugleich zu behaupten, daß das Recht des Kaisers
sich beim Fehlen der Einschränkung elastisch wieder aus-
dehne. Eine elastische Ausdehnung eines Rechtes anzunehmen
ist aber nur gestattet, wenn entweder das Gesetz dieses BKecht
selbst als elastisch bezeichnet oder dieses zeitlich den Vor-
rang hat vor dem einschränkenden Gesetz. In dem richtigen
Gefühle dieser Konsequenz hat BISMARCK!” am 11. Januar 1887
behauptet, die Verfassung habe, bevor das Versprechen in
Art. 60 entstand, durch Art. 63 Abs. IV das Moderamen gegeben.
daß der Kaiser den Präsenzstand bestimmen solle. Diese Behaup-
tung Bismareks ist selbstverständlich unhaltbar !%. Die Reichs-
verfassung ist ein unteilbares Ganzes. Zudem widerspricht die
Entstehungsgeschichte der beiden Artikel dieser Behauptung. Die
Unhalibarkeit des Bismarckschen Standpunktes und die Unmög-
lichkeit, aus der Verfassung selbst einen Anhaltspunkt dafür zu
entnehmen, daß Art. 63 IV beim Fehlen eines Friedenspräsenzge-
setzes von selbst wieder seine uneingeschränkte Wirkung äußere,
ergibt aber klar, daß eine Weitergeltung des Art. 63 IV ohne
Einschränkung im Falle eines Vacuums nur dann angenommen
werden kann, wenn sein Inhalt von dem des Art. 60 ein verschie-
dener ist, kurz wenn das Friedenspräsenzgesetz keine Ein-
schränkung des kaiserlichen Rechtes aus Art. 63 IV darstellt.
Daß es aber notwendig ist, die Fortgeltung des kaiser-
lichen Rechtes zur Bestimmung des Präsenzstandes anzunehmen,
daß ohne dies das ganze Reichsheer sofort und ipso iure ver-
schwinden müßte, erkennt LABAND selbst an. Daraus ergibt sich.
daß seine Ansicht irrig sein muß, wonach der Kaiser beim Be-
stehen eines Friedenspräsenzgesetzes den Präsenzstand nur in
dessen Rahmen bestimmen könne, und es folgt also aus der
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‘0 Stenographische Berichte 1887 S. 341.
101 Ebenso v. SAvIanYy 8. 242.