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bare Erörterung über den Schiedsgerichtsgedanken, die Idee des Staats-
gebietes usw. an der Hand einzelner Abreden und sonstiger Zeugnisse
möglich.
Die Arbeit STIEBERs kommt denn auch zu juristisch-dogmatisch sehr
anfechtbaren Resultaten. Die juristische Einsicht in die Verhältnisse, der
Blick für den „springenden Punkt“ fehlt. Schon das System, das STIEBER
aufstellt, ist sonderbar: „I. Aeußere Vertragsseite; II. Vertragsinhalt‘; und
Unterabteilungen: zu I: „Vertragssubjekte, -bedingnisse, -form, Bekräfti-
gungsmittel‘; zu IT: „Ehrentitel, Heiratsverträge, Territorialverträge, poli-
tische Verträge, Verwaltungsverträge, Verträge über Regelung des Straf-
und Privatrechts, Schiedsgerichtsverträge“. In diese naive, durch eine
Menge Unterabteilungen weiter gegliederte Ordnung ist der Inhalt der
388 „Verträge“ hineingepreßt, wobei überall störend mitwirkt, daß alles
Recht nur aus den Verträgen herausgelesen wird. Mittelalterliche Verträge
sogut wie Gesetze sind für uns Erkenntnisquellen des früheren Rechtszu-
standes neben anderen, niemals, wie das heute der Fall sein kann,
unmittelbare einzige Grundlage bestehender Rechtsordnung. Erst im Licht
historischer Würdigung können wir von der einen oder anderen alten Ge-
setzesbestimmung feststellen, ob und inwiefern sie das ehemals geltende
Recht geändert hat oder bestätigt. Wenn es unter „Publizierung“ bei
STIEBER heißt (S. 47): „Die geschlossenen Verträge werden auf den Märk-
ten öffentlich publiziert oder den Beamten und Untertanen mitgeteilt“, so
sagt das garnichts und ist außerdem falsch. Welche Verträge werden
„mitgeteilt“, welche „öffentlich publiziert“? Darauf käme es in einer sy-
stematischen Darstellung an. Tatsächlich bestand darüber keine von 1200
bis 1500 gleiche Regel. Viele der angezogenen Vertragsbestimmungen sind
überhaupt nicht „publiziert“ oder „mitgeteilt“ worden. Unter „Neutralität“
heißt es (S. 110): „Wie anderwärts schließt man auch mit den böhmischen
Königen die Neutralitätsverträge*. Die mittelalterlichen Abmachungen, in
einen Kampf nicht einzugreifen, haben mit der neuzeitlichen Neutralität,
bei der eine Regierung eine bestimmte Verantwortung für die Handlungen
ihrer Staatsbürger übernimmt und ihnen zugleich für bestimmte Hand-
lungen den normalen Schutz versagt, juristisch nichts gemein!. Will man
durchaus den modernen Begriff auf die alten Verhältnisse anwenden, so
geht das nur auf Grund eines historischen Vergleichs der Einrichtungen,
die man unter dem gleichen Namen zusammenfassen möchte; andernfalls
ist die Folge notwendig Verwirrung der Anschauung und schließlich der
Begriffe. Unter Schiedsverträgen heißt es (8. 137): „Eine Lösung der Streit-
fälle ist unumgänglich. Die Verträge wären ja wirkungslos, wenn es keine
Macht gäbe, welche sie zur Geltung brächte. Ein ungelöster Streit würde
den Vertrag aufheben und die Feindschaft unter den Parteien neuerlich
eröffnen“ usw. Aehnlich oberflächliche Argumentationen verwendet STIEBER
ı Der moderne Neutralitätsbegriff begegnet zum erstenmal 1429.