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In der Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses vom 23. März
1867 bemerkte der Deäkist Szell: „Ich bin überzeugt, daß, als
unsere Vorfahren sich mit Oesterreich verbanden, sie dies nicht
deshalb getan haben, weil sie etwa in die Austria verliebt waren,
sondern sie haben es aus Pflicht zur Selbsterhaltung und
wegen der Notwendigkeit getan, sich gegen gemeinsame Feinde
zu verteidigen. Und diese Notwendigkeit besteht
auch noch heute“,
Und es ist wohl ein Hinweis auf die Kossuthsche Idee einer
Balkankonföderation, wenn Deak in seinem Plaidoyer für den
Ausgleich am 28. März 1867 die Besorgnis äußert, daß Ungarn,
eingekeilt zwischen Deutschland und Rußland, sich als selbstän-
diger Staat nicht werde behaupten können, wenn er die bei einem
Zerfall der Monarchie für Ungarn sich bietende Alternative zwi-
schen der Etablierung als isolierten Staates und dem Eintritt in einen
neuen Bundesstaat erörtert, und wenn er durch die Betonung
der im zweiten Falle gegebenen Notwendigkeit, das von der Op-
position verpönte Gemeinschaftsverhältnis mit einem fremden
Staate einzugehen, deutlich zu erkennen gibt, daß nur die zweite
Alternative ernstlieh ius Auge zu fassen sei. Selbst das letzte
Manifest der nationalen Arbeitspartei rechtfertigt den denkwürdigen
parlamentarischen Staatsstreich Stefan Tiszas vom 4. Juni 1912,
mittels dessen er den Wehrgesetzentwurf mitten im Toben der
Obstruktion zur en bloc Annahme brachte und ihn der geschäfts-
ordnungsmäßigen Verhandlung entzog, mit der Notwendigkeit der
Wiederherstellung der Großmachtstellung der Monarchie, ohne die
Ungarn nicht bestehen könne *%,
V. Die materielle Souveränität geht aber — und darin liegt
der tiefe Grund der Parität beider „Staaten“ — auch den Reichsrats-
ländern ab. Muß die „souveräne*‘ magyarische Nation im ständisch
dualistischen Sinn d. W. trotz des seinesgleichen suchenden Pompes
26° ZOLGER S, 267.
267 Neue freie Presse, Morgenblatt vom 9. Juni 1912 Nr. 17167 8.4.