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satz die Rechtspflicht knüpft, hier schon im Augenblicke
seiner Perfektion gegeben sind.
Nach Otto Mayer soll der Verwaltungsakt, der juristisch
als Erfüllung staatlicher Rechtspflicht zu gelten hat und die
Rechtsfolge der Gehorsamspflicht nach sich zieht, tatsächlich
Rechtspflicht und Rechtsnorm zugleich sein: ‚‚In obrigkeit-
licher Weise dem Untertanen gegenüber zu bestimmen, was
für ihn im Einzelfalle Rechtens sein soll, gehört keines-
wegs zum Vorbehalt des Gesetzes. Das ist eine Aeußerung
der öffentlichen Gewalt, die an sich auch der vollziehenden Ge-
walt zusteht‘. Was hat man darunter zu verstehen, daß dem
Untertanen gegenüber bestimmt wird, was für ihn im Einzel-
falle Rechtens sein soll? Beim gerichtlichen Urteil, das diese
Funktion erfüllt, liegt die Sache so: Eine durch die Rechtsord-
nung statuierte, durch Rechtsgeschäft oder sonstwie zustande-
gekommene Pflicht wird verletzt. Ob die Pflicht und daher
auch deren Verletzung nach der Rechtsordnung besteht, wird
in der Regel streitig sein, muß es aber nicht; der Begriff der
Rechtsprechung erfordert nicht den Rechtsstreit, sondern die
Rechtspflichtverletzung #®. Das Urteil muß auf Grund des
die Unrechtsfolge statuierenden Rechtssatzes die Rechtsver-
letzung feststellen, bevor die Unrechtsfolge — Strafe oder
Exekution — verhängt wird. Das Urteil schafft nicht die
fragliche Rechtspflicht neu, es stellt lediglich fest, daß die
Rechtspflicht durch die Rechtsordnung entstanden ist. Was
das Urteil selbst bewirkt, ist die Außerstreitsetzung der bisher
nur behaupteten Pflichtverletzung. Das Urteil erfüllt eine
letzte vom Rechtssatz geforderte Voraussetzung für die Ver-
hängung der Unrechtsfolge.. Was in dem Einzelfalle für den
Untertan Rechtens sein soll, bestimmt nicht das Urteil, Son-
5® Vgl. dagegen Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechts-
kraft, Wien 1886, 8. 63ff.