Das Denische Reih und seine einzelnen Glieder. (April 22.) 59
täglich zu einer bestimmten Zeit fertig sein müsse. Die konservative Partei
stehe voll auf dem Boden der kaiserlichen sozialpolitischen Erlasse und habe
sich an der Beratung der aus ihnen hervorgegangenen Gesetze lebhaft be-
teiligt, werde das bei großen organisatorischen Vorlagen auch ferner thun,
sie könne aber ein derartiges unmittelbares Eingreifen in das Verhältnis
zwischen Arbeitgeber und Arbeiter nicht billigen, besonders wenn ersterem
alle Lasten aufgebürdert werden.
Staatsminister Dr. v. Boetticher: Auf Grund des § 120 a könne
der Bundesrat für Gewerbe mit übermäßig langer Arbeitszeit und bei ge-
sundheitsschädlicher Arbeit solche Verordnungen erlassen. Beide Voraus-
setzungen träfen zu. Nach längerer Erwägung habe man sich für den
Weg der Verordnung und nicht für den des Gesetzes entschieden, haupt-
sächlich, weil es sich um eine neue Materie, den ersten Fall der Festsetzung
eines Maximalarbeitstages für erwachsene männliche Arbeiter, handle und
eine Verordnung des Bundesrats, falls sie Fehler enthalte, leichter als ein
Gesetz abgeändert werden könne. Daß in den Bäckereien eine übermäßig
lange Arbeitszeit bestehe, lasse sich leicht nachweisen, in der Bäckereienqueète
seien vielfach haarsträubende Dinge zu Tage getreten, namentlich hinsichtlich
der Ausnutzung und Ueberbürdung der Gesellen und Lehrlinge. Darin
mußte Wandel geschaffen werden und die Regierung auf eine kürzere Ar-
beitszeit hinwirken. Bezüglich der Erkrankungs= und Sterbestatistik im
Bäckergewerbe sprechen zwar die absoluten Zahlen nicht für eine erhöhte
Gesundheitsschädlichkeit, allein diese Statistik sei leider nicht beweisend
gegenüber den thatsächlichen Zuständen, wie sie sich aus den Berichten der
Krankenhäuser 2c. ergeben. Im Bäckergewerbe lebten sehr viel Gesellen
und Lehrlinge im Hause des Meisters und entzögen sich der Krankenstatistik.
Man könne nicht darüber im Zweifel sein, daß die Körperarbeit der
Bäcker sehr gesundheitsschädlich sei und niemand lange in diesem Gewerbe
aushalte. Eine Arbeitsdauer, die für die Gesundheit der Angestellten schäd-
lich war, mußte beschränkt werden, desgleichen auf strenge Reinlichkeit auch
im Interesse der Konsumenten Gewicht gelegt werden. Gegen die Verord-
nung erklären sich fast sämtliche Redner, so die Abg. Siegle (nul.), Mer-
bach (RP.), Pachnicke (fr. Vg.), Vielhaben (Antis.), Richter (srs. Vp.),
Graf Bismarck (kons.), dafür sprechen Abg. Hitze (Z.), Abg. Rösicke
(wildliberal), Molkenbuhr (Soz.).
In der Presse wird die Interpellation lebhaft besprochen, und zwar
wird von fast allen Parteien die Verordnung lehhaft angegriffen, die
klerikale Presse ist zurückhaltend, für die Verordnung treten ein „Preuß.
Jahrbücher“" Bd. 84, 2 und 85, 2 (Oldenberg), das „Volk“, die „Hilfe“,
die „Tägl. Rundschau“".
22. April. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Annahme des
Lehrerbesoldungsgesetzes.
Das Haus genehmigt in dritter Beratung das Lehrerbesoldungsgesetz
gegen die Stimmen der Freisinnigen, und einen Teil des Zentrums und
der Nationalliberalen. Ferner wird folgende Resolution angenommen: Die
Regierung zu ersuchen, dem Landtage baldigst ein allgemeines, auf christ-
licher und konfessioneller Grundlage beruhendes Volksschulgesetz vorzulegen.
Die Freisinnigen und Natioyalliberalen verlassen vor der Abstimmung de-
monstrativ den Saal, und so wird die Resolution mit 20V9 (Konservative
und Zentrum) gegen 43 Stimmen (Freikons.) abgelehnt.
22. April. (Berlin.) Der frühere Redakteur der „Kreuz-