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Praxis hat den Umfang der Kuratel über die oben genannten
Grenzen hinaus auf alle Fälle erweitert, wo sich eine Gefährdung
des Stiftungsvermögens zeigte. Kuratelschranken erkannte man
ın der Praxis nur soweit an, als die Gesetze der Kurateltätigkeit
solche Schranken positiv anordneten; vgl. 8 69 Abs. 2 der For-
mat. VO. v. 17. XII. 1825 (Weber II 279 ff.).
Noch ausgedehnter zeigte sich die Pfründestiftungs-
kuratel; denn sie war sachlich’ völlig unbeschränkt, eine all-
gemeine Verwaltungskontrolle gegenüber dem Verwalter und Nutz-
nießer der Pfründe, in allen ihren einzelnen Betätigungen darauf
gerichtet, daß das Pfründevermögen im ungeschmälerten Betrage
erhalten werde; sie erschien teils als vormundschaftliche Genehmi-
gung bei den wichtigeren Verwaltungsgeschäften, teils als fort-
laufende Aufsicht über die ganze Geschäftsgebarung der Pfründe-
gutsverwaltung.
Auch die Kirchengemeinde war dem staatlichen Ein-
flusse insofern unterstellt, als sie dem Staate gegenüber zur Er-
füllung bestimmter Aufgaben verpflichtet war, der dafür sorgte,
daß die gesetzlichen Obliegenheiten erfüllt und etwaige gegen das
Gesetz verstoßende Willensakte der Kirchengemeinde, d. i. ihrer
Organe, beseitigt wurden, ohne aber selbst fehlende oder unge-
setzliiche Verwaltungsmaßnahmen der Kirchengemeindevertretung
durch eigene, staatliche ersetzen zu können. Wenigstens war
dieses Recht des positiven Eingreifens dem Staate bisher nicht
widerspruchslos zugestanden worden; vgl. MEURER I 113.
Alles in allem zeigte sich die Staatskuratel gegen Kirchen-
stiftung und Pfründegut in der Praxis als schrankenlos, gegenüber
der Kirchengemeinde aber als unsicher und schwankend. „Dieser
ungesetzliche Zustand“ mußte endlich einmal aufhören, auch wenn
die Kirchengemeindeordnung nicht zustande kommen sollte; vgl.
MEURER 1 160, der fortfährt: „Der neuen Kirchengemeindeordnung
ist vor allem die Aufgabe gestellt, an die Stelle der einseitigen