— 571 —
deutsch-freisinnigen Partei übernommen hat.
Er deutet gelegentlich an, daß unsere „Regierung über den Parteien“
eigentlich doch eine Parteiregierung sei, nur eben eine ausschließlich kon-
servative.
Nun entgeht ihm nicht, daß eine besondere Komplikation für Deutsch-
land in der Verschiedenheit des Wahlrechtes in Reich und Staaten be-
gründet ist. Die Studie hätte in diesem Punkt noch einige Lichter ge-
wonnen, wenn die Wirkungen des partikularen Wahlrechtes auf die Regie-
rungsweise auch in den anderen Staaten außer Preußen untersucht worden
wären, wenn insbesondere die bayerischen Verhältnisse Berücksichtigung
gefunden hätten. In Bayern ist die parlamentarische Regierung zwar kein
Verfassungsgrundsatz, aber eine nur noch des Eingeständnisses harrende
Tatsache. Und von besonderem Interesse ist es dabei, daß gerade die
Partei, welche die Mehrheit hat, das Zentrum, diese Tatsache, regieren zu
wollen, ohne sie einzugestehen, für sich doch rückhaltlos geltend zu machen
sucht,
ScH. legt den Ton auf das Reich und fordert für Preußen das gleiche
Wahlrecht, wie es im Reich besteht. Daß dies der Weg ist, auf welchem
allein, wenn überhaupt, die parlamentarische Regierung zur grundsätzlichen
und allgemeinen Geltung in Deutschland gelangen kann, ist nicht zu be-
zweifeln.
Es kann hier auf eine Erörterung der Schwierigkeiten und Vorteile
solcher Anpassung nicht eingegangen werden. Zu wünschen wäre nur, daß
ScH. in noch deutlicheren Umrissen und mit bestimmten Formulierungen
aufzeichne, wie er sich das künftige demokratisch-parlamentarische Kaiser-
tum denkt. Er spricht nicht davon, daß dem Kaiser auf der neuen Grund-
lage an der Gesetzgebung ein materielles Mitwirkungsrecht zustehen solle.
Vielmehr soll es darin offenbar beim Bestehenden bleiben. Der von der
Gesetzgebung ausgeschaltete Kaiser wird also mit den Rechten, die er als
König von Preußen neben den anderen Bundesfürsten im Bundesrat hat,
abgefunden. Es ist aber klar, daß ein parlamentarisches, preußisches König-
tum sich auch im Bundesrat nur eben als parlamentarisches behaupten
könnte. Hierin aber hat ScH. bisher die letzten Konsequenzen noch nicht
gezogen. Die eine Antwort unweigerlich erheischende Frage lautet aber:
Wie soll künftig der Bundesrat zusammengesetzt werden? Muß er sich
nicht notwendig umgestalten, entweder in ein ebenfalls der Parteiregierung
ausgesetztes Oberhaus oder in einen nur beratenden kaiserlichen Staatsrat ?
Die neueste Geschichte des englischen Oberhauses wird den Bundesrat dazu
wenig geneigt stimmen, sich in ein solch vetoloses Organ umgestalten zu
lassen und als kaiserlicher Staatsrat ist der Bundesrat bisher wohl noch
viel zu kräftig entwickelt trotz „Präsidialvorlagen*, Vorsanktion® und be-
vollmächtigten Staatssekretären. Die gekrönten Staatsräte werden sich das’
überlegen.
37*