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und ScH. selbst zum Staatsmann berufen, um ihm gegenüber alsdann —
theoretisch freilich nur — die Revolution zu predigen.
Nachdem ScH. also seine Ansichten über Demokratie, Sozialismus und
Internationalismus ausgesprochen hat, wendet er sich im Schlußworte noch
einmal an uns Staatsrechtslehrer: Auch die Rechtswissenschaft verlangt
wieder nach Weltanschauung, und die Zeiten, wo man ein berühmter Staats-
rechtslehrer werden konnte, ohne eine politische Weltanschauung zu ver-
treten oder von ihr offen Gebrauch zu machen, sind hoffentlich vorüber.
Ich habe mich bei der Darstellung von ScH.s Gedanken über die De-
mokratie bisher der Kritik enthalten und habe auch nicht die Absicht,
hier meine Gedanken darüber ausführlich zu entwickeln. Das Bekenntnis
ScH.s ist so unverhüllt und durchgreifend, daß man ihm für diese Offenheit
allein schon Dank schuldet. Es ist auch keineswegs eine bloße Wieder-
holung der alten demokratischen Staatslehre, was ScH. bringt, sondern wir
haben es mit einem Original zu tun, und zwar mit dem bedeutsamsten,
welches in diesem Gebiete seit FRIEDRICH NAUMANNSs Schrift über das
demokratische Kaisertum erschienen ist. Die Absicht, einen wirksamen
Beitrag zur „Politisierung der Staatsrechtslehrer“ zu liefern, ist dem Ver-
fasser vollauf gelungen. Nach verschiedenen Richtungen ist das Buch mehr
als eine bloße „Anregung“, vielmehr ist es auch eine Lösung, denn es ent-
wickelt die Ableitung der parlamentarischen Regierungsform aus der Demo-
kratie in neuer und logischer Weise und, was wohl nicht dem ersten Blick
sich auftut, es bringt gegenüber der hergebrachten sozialdemokratischen
Parteilehre insofern einen Fortschritt, als Demokratie und Sozialismus trotz
der bestehenden Zusammenhänge doch schicklich als Verschiedenerlei ge-
trennt gehalten werden.
Aber neben wahrhaft großen Gedanken stehen doch einige harte Schroff-
heiten und allzu radikale Formulierungen. Nur von einer sei hier kurz die
Rede.
Statt der Autorität soll die Majorität künftig das herrschende Prinzip
sein. Ich bin noch nicht so weit gekommen, vor der Majorität so viel Re-
spekt zu haben, daß sie mir als Staatsprinzip einen Ersatz für jede Auto-
rität bieten könnte. Die Majorität ist allerdings das Herrschaftsprinzip der
Demokratie, und wo sie allein herrscht, da sind Arıstokratie und Monarchie
zum Tode verurteilt. Aber was ist denn diese Majorität? Sie kann der
Ausdruck eines zur Herrschaft aus inneren Gründen berufenen Volkswillens
sein, aber sie kann auch etwas ganz anderes, etwas vom Zufall oder bösen
Leidenschaften Arrangiertes oder gar auch etwas Gekauftes sein. Wer z.B.
die geheime Wahl aus dem Grunde fordert, weil die Massen sozial ab-
hängig und deshalb käuflich seien, der behauptet damit auch ihre Käuf-
lichkeit zu politischen Zwecken. Weshalb aber sollte die geheime Stimme
nicht ebensogut gekauft sein können wie die offene? Es ist’ nicht richtig.
daß’ der an sich nur fürchterliche, aber keineswegs achtunggebietende Be-