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Gesetzliches und testamentarisches Erbrecht müssen auf einen ge-
meinsamen Grund zurückgeführt werden. Er liegt darin, daß der Erbe
das Werk des Erblassers gleichsam als Treuhänder fortsetzen soll.
Einerseits muß dem Erblasser die Bestimmung überlassen bleiben, wem
er sein Vertrauen schenken will; fehlt eine solche Bestimmung, so muß die
engere, durch Gemeinschaft der Tradition zusammengehaltene Familie als
zur Fortsetzung des Lebenswerkes am geeignetsten angesehen und daher
zur Erbschaft berufen werden. Andererseits muß der Nachlaß nach seiner
Zusammensetzung geschieden werden in das „Gewinnvermögen“ (das ohne
Arbeit des Kapitalisten „arbeitende“ Kapital, wie Zins- und dividenden-
tragendes Vermögen, Spekulationsvermögen) und das „Gebrauchs- und Ge-
schäftsvermögen“ (das „Persönlichkeitswerte enthaltende“ übrige Nachlaß-
vermögen).
Dem Gesichtspunkt der Dankbarkeit für empfangene Wohltaten kann
dadurch genügt werden, daß dem Erblasser gestattet wird, einen bestimmten
Teil seines Geldkapitals zu Vermächtnissen zu verwenden.
Diesen Richtlinien entsprechend ist das gesetzliche und das testamen-
tarische Erbrecht zu beschränken. Die hiedurch frei werdenden Erbschaften
gebühren dem Gemeinwesen, das auf nicht wenigen Gebieten die Aufgaben
zu erfüllen hat, die einst der Familie zufielen. Unter den drei vornehmlich
in Betracht kommenden Arten von Gemeinwesen: Gemeinde, Einzelstaat,
Reich darf die Gemeinde um deswillen nicht unberücksichtigt bleiben, weil
sie an der Sorge um das persönliche Wohl des einzelnen den größten An-
teil hat.
Den angeführten Hauptgedanken gibt der Verfasser in folgenden Leit-
sätzen praktische Gestaltung:
1. Ein volles Erbrecht (gesetzliches Erbrecht und Pflichtteils-
recht) gebührt der Ehefrau und den Verwandten des Erblassers, soweit sie
der ersten oder der zweiten Ordnung (Parentel) angehören. Ebenso auch
sonstigen Voreltern; doch ist das Erbrecht der Großeltern auf den Nieß-
brauch zu beschränken, soweit es sich um Gewinnvermögen handelt. Das
Erbrecht der Urgroßeltern ist lediglich als Nießbrauch berechtigt.
2. Den Verwandten der dritten Ordnung (Parentel) — abgesehen von
den Großeltern — gebührt ein beschränktes gesetzliches Erb-
recht, beschränkt auf das Gebrauchs- und das Geschäftsvermögen des Erb-
lassers; das Gewinnvermögen ist ihnen vorzuenthalten. Ein Pflichtteilsrecht
kommt ihnen nicht zu.
8. Das Testamentsrecht ist folgendermaßen zu beschränken:
a) Der Erblasser verfügt frei über Gebrauchs- und Geschäftsvermögen,
soweit nicht seine Testierfreiheit durch das Pflichtteilsrecht beschränkt ist.
b) Ueber sein Gewinnvermögen darf er von Todes wegen nur zugunsten
der Ehefrau oder von Verwandten der ersten beiden Ordnungen verfügen.