92 —
Laband, der diese Konsequenz freilich nicht zieht, son-
dern von der Rezeption eines römischen Staatsrechtes
spricht, ohne den Trug und die juristische Inhaltslosigkeit die-
ses Begriffes zu betonen, bezeugt aber selbst die Rechtslosig-
keit dieses „Staatsrechtes‘, das man von den Römern
übernommen, wenn er sagt: ‚Der neue, sich schnell ent-
wickelnde Staat aber hatte noch kein historisch gegebenes
durch Gesetz oder Gewohnheit festge-
stelltes positives Recht. Er mußte es erst schaf-
fen“ usw.!5. Und doch soll dieser Staat ein römisches ‚‚Staats-
recht‘“ rezipiert haben? Was kann das aber für ein Staats-
recht sein, das keinen einzigen positiven Rechtssatz
enthielt, keine einzige Rechtspflicht für den Staat statuierte ?18.
Wenn der römische Begriff des jus publicum vor allem
das römische ‚Staatsrecht‘‘ beinhaltet, und wenn das corpus
juris zunächst um dieses seines jus publicum willen in
Deutschland rezipiert wurde, dann wird man vielleicht ver-
stehen, warum das deutsche Recht vor der Rezeption einen
Unterschied nicht gekannt hat, der erst nach der Rezeption
von Bedeutung geworden ist: den Unterschied zwischen jus
publicum und jus privatum. Denn vor der Rezeption war die
Staatsgewalt ebenso wie die Untertanen von dem einen und
gleichen Recht gebunden, das, welchen Gegenstand immer
es regeln mag, rechtlich bindet, verpflichtet, dessen Pflichten,
was immer sie zum Inhalt haben mögen, die Leistung des Schuld-
ners an den Gläubiger, oder die Ausübung der Strafgewalt: vor
allem durch die eine, gleiche Form des Rechtes einander
13 A. a. O. S. 51/52.
18 Das politische Prinzip: princeps legibus solutus est muß natür-
lich in striktem Gegensatze zu dem durchaus staatsrecht-
lichen Grundsatz gedacht werden, daß der princeps die Staatsgewalt
nur über gesetzliche Ermächtigung durch den populus (lex de imperio)
auszuüben berechtigt und verpflichtet ist.