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bereuen gehabt. Mag auch der positive Nutzen, den wir daraus
ziehen, nicht allzu hoch veranschlagt werden, so bietet uns doch
das englische Rechtswesen ein reizvolles Bild von unvergleich-
licher Prägung. Wenn man England in mannigfacher Beziehung
als das Land der Widersprüche bezeichnet hat, so gilt dies ganz
besonders vom englischen Rechtswesen. Es ist geradezu erstaun -
lich, wie dasselbe Volk, das in modernster Ausgestaltung von
Handel und Verkehr seinesgleichen sucht, in seinen öffentlichen
Einrichtungen so häufig die alten und ältesten Gebräuche mit
wahrer Liebe aufbewahrt hat. Seit Jahrhunderten hat es die
britische Nation verstanden, mit dem ihr eignen konservativen
Sinne ihr Rechtsleben fast unberührt zu erhalten von allen außer-
englischen Einflüssen. Die Zeiten, in denen auf dem Festlande
unter schweren Gewitterstürmen Reiche und Throne zusammen-
brachen, in denen dort auch die Rechtszustände von Grund auf
gestürzt und erneuert wurden, waren im englischen Rechtsleben
Zeiten einer ruhigen und organischen Entwicklung.
Aber auch jene Epochen, in denen selbst das englische öf-
fentliche Leben schweren Krisen unterworfen war, sind an den
rechtlichen Zuständen Englands fast spurlos vorübergegangen.
Wir finden hier heute noch im wesentlichen und in großen Zügen
die gleichen Rechtseinrichtungen und das gleiche Verfahren, wie
es seit vielen Jahrhunderten bestand. Nur höchst ungern und
nur, wenn es durchaus nicht zu umgehen ist, entschließt man sich
zu Neuerungen. Daß gewisse Einriehtungen heute völlig veraltet
sind und kaum noch praktische Bedeutung haben, ist kein Grund,
sie ausdrücklich zu beseitigen. Sie fristen eben dann ein papier-
nes Dasein. Dieses zähe Festhalten an den überkommenen Grund-
sätzen ist zweifellos nieht nur bewundernswert, sondern hat auch
viel Gutes im Gefolge gehabt. So ist das englische Volk im
großen und ganzen bewahrt geblieben vor planlosem Experimen-
tieren auf einem Gebiete, in dem dies am gefährlichsten werden
kann. So hat sich vor allem, was nieht hoch genug veranschlagt