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fang bis zu Ende sich so spannend liest, wie RADBRUCHs Einführung. Und
wenige wissenschaftliche Arbeiten weisen einen so eleganten, in einzelnen
Teilen sich so künstlerisch gestaltenden Stil auf, wie diese Darstellung der
Grundlagen des geltenden Rechts,
Ob der Titel den reichen Inhalt annähernd charakterisiert und er-
schöpft, mag zweifelhaft sein. Der Titel weist auf eine Rechtsenzyklopädie
hin. Unter einer solchen verstand man bisher eine auszugsweise zusammen-
fassende Darstellung der wesentlichen Grundsätze und Grundlehren der
rechtswissenschaftlichen Disziplinen. Damit hat das vorliegende Werk nur
gemeinsam, daß es in zehn Abschnitten über Recht im allgemeinen, über
Staatsrecht, Privatrecht, Strafrecht, Gerichtsverfassungsrecht, Prozeßrecht,
Verwaltungsrecht, Kirchenrecht, Völkerrecht, Rechtswissenschaft handelt.
Aber was es bietet, ist nicht eine Erörterung der Elementarbegriffe, son-
dern eine meisterhafte Kennzeichnung der rechtspolitischen
Richtungen, die sich auf jedem der einzelnen Gebiete bis in die Ge-
genwart herein bemerkbar machten. Deshalb wird der Anfänger im Rechts-
studium sich wenig damit befassen können. Aber um so dankbarer wird
das Werk demjenigen erscheinen, der nach Durchdringung des Rechtsstoffs
eine weite Uebersicht gewinnen will, oder demjenigen, der als Staatsmann
oder Historiker zwar die praktischen Gestaltungen der staatlichen Wirksam-
keit und des Rechtslebens kennt, aber auch die tieferen Zusammenhänge darin
zu erfassen sucht. Ihnen wird es wertvoll sein, die Folgerungen und Postu-
late zu erkennen, die sich aus den Grundansichten der entgegengesetzten
Parteiströmungen heraus für Fragen des Rechts- und Staatslebens ergeben.
Der Verfasser steht da durchaus nicht auf dem Standpunkte eines be-
schränkten Parteimannes; er läßt dem Guten, das in den Grundsätzen der
disparatesten politischen Parteien liegt, Gerechtigkeit widerfahren. Und
wenn er auch Jurist im besten Sinne des Wortes ist, so hat er doch Ver-
ständnis für die in der menschlichen Natur nicht zu unterdrückenden Re-
gungen nach Erhebung über die Regel und nach Formung neuer Ge-
stalten im Staats- und Rechtsleben. So bleibt ihm selbst die Bedeutung
der Elemente nicht verborgen, die man sonst vom orthodoxen staatlichen
Standpunkte aus einfach als das Prinzip des Bösen zur Seite zu schieben
pflegt. Glanzpunkte in dem Werke bilden die Besprechung der so viel
angefeindeten „freien Rechtsfindung“ (Seite 84 ff.) und die feine
Kritik des Berufes des Juristen (Seite 140 fi.), ferner die lichtvolle
Darstellung der Grundanschauungen des katholischen und des evangelischen
Kirchenrechts und der Stellung des Staats zu den Kirchen (S. 117 ff.,
123 £.).
Das Studium des Werkes erfordert reife Leser; für diese aber wird
der geistige Gewinn, den sie daraus ziehen, ein nachhaltiger sein.
Dr. Max Schuster-Bonnott.