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Kreisen bevorzugt? Es handelt sich hier für Sıor'ro-Pıntor weder darum,
auf Grund seiner geübten Kritik einen neuen Vorschlag zu machen zu einer
Wahlreform, noch sich in die Prüfung von Einzelheiten zu verlieren. Da-
mit das Wahlrecht wirklich seinen Zweck erfüllt, muß der Wähler vor
allem unabhängig sein. Die Erweiterung der Zahl der Wähler von 31/, auf
7ı/s Millionen, welche das neue italienische Wahlgesetz mit sich bringt
durch Zulassung der Analphabeten zur Urne, muß daher von SıorTo-PiNToR
ungünstig beurteilt werden, denn es wird das zu nichts anderem führen
als zu einer schlechten Fornı des Pluralwahlsystems. Wenn das Wahlrecht
wirklich dazu dienen soll, den in der Gesellschaft innerhalb eines Staates
herrschenden politischen Tendenzen Ausdruck zu geben, so muß es so be-
schaffen sein, daß die Wähler von dem Werte und der Nützlichkeit seiner Aus-
übung überzeugt sind und nicht durch Wahlenthaltung seinen Zweck durch-
kreuzen. Die Möglichkeit einer Repräsentation aller politischen und sozialen
Schichten des Volkes muß gegeben sein. Das Problem der Verteilung der
Repräsentation hätte in der italienischen Wahlreform nicht eine sekundäre,
sondern eine primäre Rolle spielen sollen, weil es in Wirklichkeit der Aus-
gangspunkt jeder richtigen Wahlreform ist und die Grundlage einer Re-
generation des politischen Lebens bildet. Das in der deutschen und fran-
zösischen Literatur verfochtene System der Interessenvertretung, sowie der
Vorschlag, zwei große, einander in der Regierung ablösende Parteien zu
schaffen, führen nach der Ansicht von Siorto-PinTor nicht zum Ziele. Auf
eine Untersuchung der vielen Vorschläge für ein richtiges System der
Repräsentanz geht der Verf. nicht ein. Nur das von GEYERHAHN in seinem
Buche über das Problem der verhältnismäßigen Vertretung (1902) vorge-
schlagene System anerkennt SIOTTO-PINTOR als zur Lösung der Frage fähig,
weil es zum erstenmal den Erfordernissen einer proportionalen Vertretung
genügt, indem ein darnach gebildetes Parlament alle in einem Lande leben-
digen politischen Kräfte, seien sie personell oder kollektiv, materiell oder
ideell, konzentriert oder verteilt, zusammenfassen kann. P. Marx.
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Hans von Frisch, Widersprüche in der Literatur und Pra-
xıs des Schweizerischen Staatsrechts. Zürich, Art.
Institut Orell Füssli. 85 S. 8°.
Der ehemalige Basler Professor von FRISCH bringt in dieser seinem
Kollegen Andreas Heusler gewidmeten Schrift eine Anzahl von Eigentüm-
lichkeiten des schweizerischen Bundesrechts zur kurzen, übersichtlichen
Darstellung. Zum Teil sind es Probleme, die schon früher in Literatur und
Praxis zu lösen versucht worden sind, zum Teil macht von FRiscHa auf
Widersprüche im öffentlichen Recht des Bundes aufmerksam, die man bis-
her unbeachtet ließ. Der Verf. geißelt scharf die Versuche, an Rechtsfragen