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wenigstens relativ, mit Rücksicht auf die Natur des staatlichen und rechtlichen
Lebens in den verschiedenen Ländern) möglich ist. Wie ich mir das denke,
will ich versuchen, an einer besonderen Materie des Verwaltungsrechts, in der
sich die Unterschiede in der Verwaltungsorganisation und den Rechtsformen
zwischen dem englischen und unserem Recht hervorragend stark zeigen, zu
erläutern: am Polizeirecht.
Das englische Polizeirecht! zeigt in ganz besonders charakteristischer
Weise die beiden Wesenszüge des englischen Verwaltungsrechts, die dieses
dem kontinentalen gegenüber schlechthin inkommensurabel erscheinen lassen:
das Fehlen einerseits des Entwicklungsstadiums des Polizeistaats, anderer-
seits eines juristisch klar herausgearbeiteten Verwaltungsrechtes. Auch
in England ist zwar die Polizei infolge der sozialen Bestrebungen im
19. Jahrhundert auf weitere Gebiete als ihr ursprüngliches der Wahrung
der öffentlichen Sicherheit ausgedehnt worden. Aber eine schrankenlose
eudämonistische Polizei, wie in dem kontinentalen Polizeistaat des 17. und
18. Jahrhunderts, die dann wieder hätte eingeschränkt werden müssen, ist
hier nie eingetreten infolge der festen Einwurzelnng des konstitutionellen
Prinzips, der gesicherten Rechtsvorstellung von der persönlichen Freiheit
und deren Garantie durch eine viel ausgedehntere Rechtsprechung. So
konnte historisch in England der große einheitliche Grundgedanke, der
das französische und deutsche Polizeirecht beherrscht, die Verneinung der
eudämonistischen Polizei, nicht zu so scharfer Herausarbeitung kommen.
Er konnte dies aber auch systematisch nicht, weil es in England nicht ein
einheitliches Polzeirecht im kontinentalen Sinne als Teil des Verwaltungs-
rechtes gibt. Im englischen Recht ist die Polizei nichts anderes als die
staatliche Tätigkeit zur Beseitigung von Störungen im bürgerlichen Leben
(nuisances), ganz gleich. ob diese Störungen im Gebiet des Privatrechts, so
insbesondere des Nachbarrechts, oder im Gebiete der öffentlichen Ordnung
liegen, ob die Obrigkeit sich mit ihnen von Amts wegen oder nur auf An-
trag oder Klage des in seiner individuellen Lebenssphäre gestörten Einzel-
nen zu befassen hat. So ist eines der wichtigsten polizeilichen Zwangs-
mittel ein solches, das dem Zivilrecht entnommen ist: die injunction, die
nichts anderes ist, als das summariissimum des gemeinen Rechts; sie wird
im Prozeßwege erlassen, wobei im Falle einer public nuisance, einer Störung
der öffentlichen Ordnung, statt des Verletzten der Attorney General als
! Vgl. für das Folgende: HATScHEx, Englisches Staatsrecht II, 503 ff. ;
E. W. GArRRET, The Law of Nuisances 1897, insbesondere S. 4—8, 118,
340 ff.; HAYKRAFT, Executive Powers 1897; DE LALAING, Rapport sur la
police de la Grande Bretagne 1891; MAITLAND, Justice and Police 1885;
A. W. CHASTER, The powers, duties and Liabilities of executive Officers
5 ed. 1899, insbesondere 8. 93ff.; MELVILLE LEE, A history of Police in
England; für das französische Recht Arch. f. öffentl. Recht XXIV, 325 fl.