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tapfere STAHL sich ein für die Lösung der deutschen Frage auf
dem Boden des preußischen Einzelstaats und der Wahrung der
überlieferten königlichen Macht. „Der Gedanke der deutschen
Einheit ist ein wahrer und erhebender, und wir sind nicht der
deutschen Sache, sondern nur der revolutionären Sache gram.“
(Die deutsche Reichsverfassung, S. 10). Freilich müsse, so sagt
STAHL weiter, die Einigung auch die echten ruhmvollen Charakter-
züge deutscher Nation aufrechterhalten, die erworbenen Rechte
achten, die Bande der Treue zwischen Fürsten und Völkern er-
halten und den christlichen Glauben bewahren. Hier taucht die
historisch-romantische Idee des Volksgeistes auf, die STAHL mit
SAVIGNY verbindet. Die Klärung des Verhältnisses zwischen
Preußen und Oesterreich ist ihm freilich nicht gelungen. Nament-
lich in der Schrift über die deutsche Reichsverfassung kommt
seine unklare, schwankende Stellung zu diesem Problem zum Aus-
druck. „Ein solches Voraus eines Staates,* sagt er zu der be-
schlossenen Reichsvorstandschaft Preußens, „ist nicht das, was
man als Ideal und als harmonischen Zustand der ganzen deut-
schen Nation gerade wünschen wird.“ Wohl könnten die Fürsten
auf Preußens Oberhauptswürde beharren; aber „wenn Oesterreich
sich bereit erklärt, alle Verpflichtungen des neuen Bundesstaates
zu erfüllen, so dürfte man ihm den Eintritt nicht verweigern;“
und man müßte ihm wohl zum Ausgleich gewisse Vorrechte, etwa
das Mitbesatzungsrecht der süddeutschen Festungen, einräumen.
So spielen hier immer wieder universalistische Ideen herein und
trüben den Blick für die Realitäten der Macht, — das Verhäng-
nis der deutschen Politik Friedrich Wilhelm IV! Und doch
tritt an anderen Stellen derselben Schrift wieder klar die Er-
kenntnis zutage, daß die deutsche Frage nur unter Preußens
Führung gelöst werden könne: „Oesterreich hat . . durch seine
Verbindung mit nichtdeutschen Stämmen, die selbst die deutsche
Bevölkerung an Zahl überwiegen, ein Interesse, das dem der rein-
ı2 Vgl. MEINECKE, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 257.