Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

— 1409 ° — 
I. 
Das Zusammenleben der Menschen wird beherrscht von dem 
Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme. Ethische wie wirtschaft- 
liche Güter, ıdeelle wie materielle Interessen erscheinen schutz- 
bedürftig gegenüber den Auswüchsen egoistischer Triebe des ein- 
zelnen. Wesentlich in der Anerkennung dieser Schutznotwendig- 
keit äußert sich das Steigen der Zivilisation. Umgekehrt: je 
niedriger das Niveau eines Volkes, desto weniger erwächst dem 
einzelnen ein stärkerer Schutz als die eigne Faust. Wandernde 
Stämme sind sicherlich hierauf allein angewiesen: hier ist wohl 
der Schutz des einzelnen am primitivsten, höchstens wird er durch 
das verwandtschaftliche oder freundschaftliche Band gestärkt. 
Solehe Urzustände lassen eben den natürlichen egoistischen Trie- 
ben des einzelnen freien Lauf. Erst die Seßhaftigkeit und damit 
zusarmmmenhängend das Entstehen des Staatsgebildes schaffen über- 
haupt die Grundlagen für die Erhaltung und das Wohl des ein- 
zelnen und dessen, was sein ist. Im Interesse des einzelnen wird 
das Handeln der anderen beschränkt, der Verkehr zwischen ihnen 
in bestimmte Bahnen gelenkt, so in sittlicher wie in wirtschaft- 
licher Beziehung. Der Egoismus, die natürlichste Triebfeder allen 
Tuns bricht sich an der starren Macht des Staats, ihren Geboten 
und Verboten. Erst mit dem Entstehen des Staatsbegriffs tritt 
das Moment des Gebundenseins des einzelnen auf. Solange der 
Staat noch nicht vorhanden ist, ist der Schwächere das Werk- 
zeug des Stärkeren, fällt er dessen Macht oder Gnade anheim. 
Mit dem Augenblick des Entstehens des Staates muß diese Er- 
scheinung zu schwinden beginnen: die einzelnen im Staate er- 
scheinen unter sich gleich, noch mehr — der Schwächere sogar 
als der Schutzbedürftigere. 
So entstehen alle jene Sätze, die man unter dem Begriff des 
objektiven Rechts zusammenfaßt. Objektives Recht, dessen Normen 
— wie man wohl zu sagen pflegt — bestimmt sind, die mensch- 
lichen Machtbefugnisse in bindender Weise zu begrenzen. Vor-
	        
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