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bruch vorliegen. Und wieder würde jede Rechtsmacht fehlen,
das Unrecht zu sühnen.
Dennoch hält sich die Staatsgewalt an alle jene Regeln, sei
es, daß sie dem einzelnen oder der Allgemeinheit Rechte ge-
währen. Sie begeht keinen Rechtsbruch, sie betrachtet die ge-
gebenen Normen für sich als bindend, wiewohl sie nicht nur tat-
sächlich, sondern auch rechtlich die stärkere Macht ın Händen
hat, oder vielmehr besser gesagt: die Macht. Wenn man nach
dem Grunde hierfür forscht, so lautet die einzig mögliche Ant-
wort hierauf: weil die Staatsgewalt im Interesse des einzelnen
wie der Allgemeinheit ihre eigne Beschränkung und die Begren-
zung ihrer Machtsphäre für notwendig erkannte. Wiederum
aber nicht, weil diese Rechte auf Normen beruhen, die mit einem
(esetzesbefehl ausgestattet erlassen sind. Dies ist, wie schon
oben angedeutet, nichts anderes als die Form! Was aber würde
die Staatsgewalt hindern, sich darüber hinwegzusetzen, selbst auf
die Gefahr hin, daß ihr dies den Vorwurf eines Rechtsbruchs
eintragen oder gar noch andere politische Folgen haben könnte!
Und auch für die Erteilung des Gesetzesbefehls seitens des maß-
geblichen Organs, die äußere staatsrechtliche Form, bildet doch
Inhalt und Motiv, daß das, was Recht sein soll, notwendig oder
doch wenigstens zweckmäßig ist und deshalb binden muß!
Hieraus allein folgt auch für diese letzterwähnten Regeln
ihr Rechtscharakter, wiewohl von einer Erzwingbarkeit derselben
nicht die Rede sein kann. Man wird freilich einwenden: der
Allgemeinheit wenigstens sei doch die Möglichkeit gegeben, die
ihr gewährten Rechte zu ertrotzen; Verfassungsbrüche könnten
zu einem Aufstand oder gar zu einer Revolution führen! Allein —
damit würde man ja nur zugeben, daß man sich erst vom Boden
des Rechts entfernen muß, um einen Weg für die Realisierung
jener Ansprüche zu finden. Denn das, was sich dann bietet, ist
keine rechtlich begründete, vielmehr rein tatsächliche Gewalt.
Hiermit aber läßt sich weder das Gebundensein des Staats an