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wollen jenen von bedingten und unbedingten Befehlen hier nicht
weiter behandeln, sondern uns auf jenen von kategorischen und
disjunktiven beschränken. Auch soll nicht von allen möglichen
Normen, sondern nur von Rechtsnormen die Rede sein. Der
Gegensatz, mit dem wir es zu tun haben, läßt sich demnach, auf
die einfachste Form zurückgeführt, durch folgendes Schema dar-
stellen:
1. Kategorische Norm: S soll P tun oder sein;
2. Disjunktive Norm: S soll P oder P, tun oder sein; S soll
P oder P, oder P,... . oder Pn tun oder sein; S soll P oder
P, oder P,.... oder P. tun oder sein.
Eine der möglichen Arten der disjunktiven Norm: „S soll
P oder non P tun oder sein“, kann sprachlich auch so formuliert
werden, daß der disjunktive Charakter im Satzgefüge nicht zutage
tritt: „S kann (darf) P tun oder sein“.
Eines ist bei der gemachten Unterscheidung zwischen dis-
junktiven und kategorischen Normen zu beachten. Bekanntlich
kann ein Rechtssatz in einem einzigen Imperativ Verschiedenes
gleichzeitig regeln. Eine Norm beispielsweise, welche eine Lei-
stung des B an den A vorschreibt, berechtigt den A, verpflichtet
den B, bindet alle Dritten, welche mit dem Rechte des A oder
der Pflicht des B in Kollision geraten könnten, und beauftragt
überdies noch behördliche Organe, das Recht des A zu schützen
und nötigenfalls die Leistung von B zu erzwingen. Es ist nun
sehr leicht denkbar, daß eine Norm, welche in soleher Weise
mehrseitig wirkt, nach einer Seite hin kategorisch, nach einer an-
dern disjunktiv formuliert ist. Zum Beispiel steht der etwaigen Be-
rechtigung des B, nach seiner Wahl seine Schuld an A in dieser
oder in jener Form abzutragen, die kategorische Gebundenheit des
A gegenüber, jede dieser Formen als Zahlung gegen sich gelten
zu lassen. Der behördlichen Ermächtigung, diese oder jene Ver-
fügung zu treffen, entspricht die kategorische Verpflichtung des
Publikums, sich jeder dieser Verfügungen zu unterwerfen.